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NEPENTHES
@ BORNEO EXOTICS - in Sri Lanka (Dezember 2004)
Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S. (2005) DAS TAUBLATT (GFP) 2005/2: 20-30

Robert Cantley, den Gründer und Eigentümer der Firma BORNEO EXOTICS aus Sri Lanka, lernten wir bereits im Jahr 2000 persönlich kennen, als er uns mit seinem Laptop aushalf, auf dem dann die Vorstellung unserer CD-ROM „Destination CP"(1) anlässlich der 3. Internationalen Karnivorenkonferenz(2) in San Francisco (USA) erst möglich wurde. Zwei Jahre später sahen wir uns zur Folgekonferenz in Tokio(3) (Japan) wieder. Jedes Mal waren Irmgard und ich fasziniert von den vielen Arten Nepenthes, die es am Stand von BORNEO EXOTICS zu sehen und in verschweißte Plastiktüten verpackt zu kaufen gab. Im Sommer 2004 trafen wir uns erneut in Frankreich, wo wir Rob und seine Partnerin Diana Williams bei einem gemeinsamen Abendessen fragten, ob sie eventuell Interesse an einem Filmprojekt über ihre Kannenpflanzen hätten. Nachdem die beiden spontan zusagten, uns sowohl die Tiefland-Gewächshäuser bei Colombo, als auch die auf etwa 1500 m Höhe liegenden Gärtnereien für Hochland-Pflanzen zu zeigen, dauerte es nur noch wenige Wochen, bis unsere Reise über Zürich und Frankfurt nach Sri Lanka für die Zeit vom 11. bis 28. Dezember gebucht war.
Robert Cantley
Robert Cantley
N. ampullaria var. Cantley's Red
Rouwen, unser Fahrer hupt energisch ein dreirädriges „Tuc-Tuc" beiseite und überholt mit durchgetretenem Gaspedal zwei eisern nebeneinander fahrende Linienbusse, deren gemeinsame pechschwarze Abgaswolke die Hauptstraße nach Colombo locker bis in drei Meter Höhe abdeckt. Der Verkehr ist so dicht wie chaotisch und der in Sri Lanka erhältliche Billigdiesel sorgt dabei für eine besonders gehaltvolle Umgebungsluft. Irmgard und ich sind froh, als wir endlich auf Nebenstraßen abbiegen, wo zahlreiche Abfall fressende Kühe auf und neben den Wegen vom Verkehr völlig unbeeindruckt sind. Robert Cantley hat uns für die jeweils etwa 40 Minuten dauernde Fahrt vom Hotel in Mount Lavinia zur Gärtnerei bei Colombo günstig einen Wagen mit Fahrer organisiert. Bei einem Besuch in unserem Hotel - zwei Tage zuvor am Abend unserer Ankunft - hatten wir mit Rob und Diana den Beginn des Filmprojekts für heute verabredet. Jetzt wollen wir beim ersten Besuch die Räumlichkeiten begutachten, aber auch die Details unseres Drehbuchentwurfs besprechen. Rouwen lenkt den neuen Toyota gekonnt um einen ausgewachsenen Wasserbüffel, sowie einige ausgemergelte Kühe, die es sich alle mitten im Kreisverkehr gemütlich gemacht haben, dann sind es nur noch wenige Minuten und wir sehen rechts die ersten Gewächshäuser. Unser neues Projekt NEPENTHES @ BORNEO EXOTICS(4) kann beginnen!
Neps@BE
N. ampullaria
TC-Lab BE
Tissue culture lab
Die Begrüßung ist herzlich. Nachdem Rob den beiden grimmig schauenden Dobermännern klar gemacht hat, dass wir Gäste sind, kommen wir auch mit den anderen Hunden und Katzen prima aus. Nach einem zweiten Frühstück im Wohnzimmer des Hauses führt Rob uns durch das Anwesen. Irmgard und ich sind beeindruckt von unzähligen Nepenthes in allen Größen. Alle Gewächshäuser machen einen sehr sauberen und gepflegten Eindruck, wofür BORNEO EXOTICS derzeit insgesamt 40 Angestellte beschäftigt. Das sehr einheitliche Aussehen gleichartiger Pflanzen ist typisch bei künstlicher Vermehrung und bestätigt eindeutig Rob’s Aussage, dass alle Nepenthes ausschließlich aus Samen oder Zellkulturen und nicht aus der Natur stammen. Dies erfordert viel Geduld, denn Kannenpflanzen brauchen Jahre um blühfähig zu werden. Tatsächlich begann Robert Cantley bereits in den 80-er Jahren mit der Zucht. Damals noch in Brunei (Borneo) unter dem Namen „ISRA EXOTICS", der den Fleischi-Veteranen unter uns sicher noch ein Begriff ist. Kein geringerer als der englische Karnivorenbuch-Autor Adrian Slack bezeichnet in seinem zweiten Buch (5) die erste rote N. ampullaria Form in Kultur (die Rob ihm geschickt hatte) als var. „Cantleys Red".

Zurück im Haus ziehen wir unsere Schuhe aus und schreiten durch eine Wanne mit Desinfektionsmittel, um dann das blitzsaubere Labor zu betreten, wo in mehreren Regalen Hunderte von Einmachgläsern voller winziger Nepenthes lagern. Meine Chemie erprobte Nase meldet sofort: Chlorgas! Zwar ungefährlich im Rahmen unserer „Maximalen Arbeitsplatz Konzentration" MAK, aber selbst dann noch eine echte Korrosionsgefahr für die Kameras! Da müssen wir ein paar Stunden vor dem Filmen gut lüften, sowie den Gebrauch der Natrium Hypochlorid Lösung einstellen, welche das Chlor freisetzt um Nepenthes-Samen zu sterilisieren. Zwei Laborantinnen mit Mundschutz arbeiten an zwei Arbeitsplätzen mit Unterdruckkammern, wo die Dämpfe abgesaugt und nach außen geleitet werden. Sie pikieren die wachsenden Keimlinge in frische Einmachgläser mit vorbereitetem Agar Agar Mix, wobei sie immer wieder die Pinzette über einem Bunsenbrenner abflammen und den Arbeitsplatz mit Isopropylalkohol sterilisieren.
Nach einem wirklich leckeren Mittagessen beim Chinesen um die Ecke, brauchen wir noch den ganzen Nachmittag um die Filmszenen zu besprechen, dann bringt uns unser Fahrer zurück ins Hotel. Dort gehen wir früh ins Bett, denn um 7.00 Uhr klingelt der Wecker und gleich nach dem Frühstück bringt uns Rouwen wieder zu BORNEO EXOTICS. Während Irmgard mit unserer kleinen DV Kamera (Cannon MV 20) nebenher eine Art „Making of" filmt, drehe ich mit unserer neuen 3-CCD Kamera (Sony VX2110) die Kommentare und Einstellungen mit einem gut vorbereiteten Robert Cantley, der sehr engagiert, ja professionell bei der Sache ist. Sein Englisch ist sehr gut verständlich und frei von Sprachmarotten, da genügen meist 2-4 „Takes" und die Szenen sind im Kasten. Erst stellt er verschiedene Farbvarianten von N. ampullaria vor: grüne Kannen mit roten Flecken, oder völlig grün, natürlich die berühmte „Cantleys Red", rot mit grünen Flecken. Aber auch ganz in Rot, mal hell, mal fast Bordeaux und dann sogar noch „tricolor", dunkelrote Grundfarbe mit violetten und grünen Flecken. Eine Schönheit vor der Kamera!
Von N. bicalcarata zeigt uns Rob zur bekannten orangefarbigen (die Pflanze ist mehrere Meter hoch) noch eine dunkelrote Form, sowie die in Sri Lanka endemische N. distillatoria, die in gelb und rot-violett vertreten ist. Insgesamt brauchen wir vier volle Tage für die Aufnahmen. Am darauffolgenden Wochenende sind wir in den exklusiven Colombo Yacht Club eingeladen, wo Rob und Diana an einer Segelregatta teilnehmen. Wir werden sehr freundlich empfangen und beim Barbecue mit viel Gin, Wein und Bier kommt am Nachmittag so richtig gute Stimmung auf. N.bicalcarata
N. bicalcarata
N. ampullaria
N. ampullaria "red"
N. ampullaria
N. ampullaria "green"
Am 21. Dezember fahren wir alle gemeinsam in einem von Rob organisierten Kleintransporter mit Fahrer von Colombo aus in das Hochland bei Nuwara Eliya. Ab etwa 1000 m Höhe führt die schmale und kurvenreiche Straße mitten durch endlose Teeplantagen und kleine Dörfer. Die Trasse windet sich an Berghängen entlang, wobei es seitlich mitunter einige hundert Meter steil in die Tiefe geht, was besonders bei Begegnungen mit Bussen und Tanklastern ein gewisses Kribbeln im Bauch auslöst. Nach circa fünf Stunden erreichen wir die Hochland Gewächshäuser in etwa 1500 m Höhe. Rob und Diana bleiben hier, während Udaya, der Fahrer, mit Irmgard und mir eine halbe Stunde bis Nuwara Eliya (ca. 1900 m) weiterfährt, wo wir im voraus ein Zimmer im Grand Hotel gebucht haben. Für die Fahrer gibt es auf dem Grundstück eine separate Unterkunft in einer Baracke. Ziemlich groggy von der langen Fahrt betreten wir ein vom Parkett bis zur Deckentäfelung mit Mahagoni und Teakholz ausgekleidetes Hotel, dessen Gänge und öffentliche Räume massiv mit Weihnachtsdekoration gepflastert sind, wozu eine permanente Berieselung mit Weihnachtsmusik ertönt. Das Hotel ist bis auf den letzten Platz belegt, denn Weihnachten ist in Sri Lanka Hochsaison. Wir essen eine Kleinigkeit und gehen früh ins Bett, denn morgens um 7.00 Uhr klingelt wieder der Wecker und Udaya wartet nach dem Frühstück schon auf uns.
Highland BE
Rob und Siggi vor Hochland-Gewächshäusern

N. spec.nov.
N. spec.nov.
N. lowii
N. lowii
N. macrophylla x lowii (x Trusmadiensis)
N. x trusmadiensis
N. glandulifera
N. glandulifera N. tentaculata
N. tentaculata
Auch das Gelände mit den „Highland Nurseries" wird von trainierten Dobermännern bewacht. Einige Katzen sind für die Jagd auf Ratten zuständig, müssen dabei aber selber vorsichtig sein, denn hier und in den umliegenden Teeplantagen gibt es viele Kobras. Nicht weit vom Eingangstor sehen wir neben einem kleinen Gemüsegarten die erste Kannenpflanze: einfach so im Freien wächst N. copelandii. Etwas weiter eine hell gelb-grüne N. veitchii x stenophylla und gleich daneben mit einer fast kugelförmigen Kanne in Bonbon-Rosa eine N. sibuyanensis. Ebenfalls im Freien zeigt uns Rob ein ganzes Beet voller kleiner, aber feiner N. rajah, sowie eine Gruppe N. ventricosa, deren Blüten teils mehr als hundert Samenkapseln enthalten. Er kann wirklich zu jeder seiner Pflanzen eine Geschichte erzählen und wie bereits im Tiefland, kommen wir mit dem Filmen gut voran. Das Gelände ist im mittleren Bereich recht steil, daher finden sich drei große Gewächshäuser ganz oben, wo auch das kleine Cottage steht, während die übrigen drei oder vier großen Treibhäuser etwa 200 m weiter unten liegen. Dazu kommt eine Brunnenanlage und diverse Beete unter freiem Himmel.

Der untere Teil dient hauptsächlich der Produktion und der Vorbereitung der Pflanzen für den Abtransport. Diana vergleicht gerade eine Reihe Pflanzen mit einer Lieferliste, als Rob uns eine rote N. fusca zeigt, deren etwa 14 cm große Kanne an der Deckelspitze den typischen Sporn der aus Sarawak stammenden Form aufweist. Von der kleinen N. tentaculata bis zur mächtigen N. truncata in grün, rot und fast schwarz, gedeihen im hiesigen Klima viele Arten, obwohl es nachts auf 5-10 Grad abkühlt! Die Tagestemperatur steigt dabei an sonnigen Tagen durchaus auch über 25 Grad. Oft jedoch sind die Berge wolkenverhangen und starke Regenfälle wechseln mit dichten Nebelfeldern. Tatsächlich hatte es die Woche vor unserem Kommen heftige Unwetter mit Überschwemmungen und Bergrutschen nicht weit von hier gegeben. Jetzt aber ist das Wetter sonnig und angenehm.

Im oberen Gewächshaus Nr. 5 wissen Irmgard und ich fast nicht, wo wir mit dem Filmen beginnen sollen. Rob strahlt über das ganze Gesicht, als er uns in den hinteren Teil mit blühfähigen Pflanzen führt und gleich eine noch unbeschriebene neue Art aus Sumatra (spec # 1) mit einer riesigen Kanne vorführt. Daneben die in Ch’ien Lee und Charles Clarkes neuem Buch „Nepenthes of Sarawak"(6) erstmals vorgestellten N. vogelii, N. mikei, sowie die mit fast schwarzen Flecken übersäte N. glandulifera. Ich schnappe mir die kleine Kamera, die über ein leistungsfähiges Makro verfügt, um deren ungewöhnliche Nektardrüsen zu filmen und dann gleich noch mit N. tentaculata, N. villosa und dem Deckel einer großen N. lowii Kanne weiterzumachen. Dann wechsele ich wieder zur Sony, weil Rob etwas über die lowii-ähnliche N. ephippiata erzählt. Bei den Aufnahmen einer sehr großen N. boschiana sowie bei N. burbidgeae macht das Licht Probleme, aber die „Shots" sind ganz brauchbar. Einen ganzen Tisch voller herrlicher N. veitchii „Sarawak" habe ich bereits im Kasten, sowie eine knapp 30 cm hohe  Kanne von N. x trusmadiensis, als Rob uns einen weiteren Tisch mit N. sanguinea und N. ramispina zeigt, deren gesunde Fallen fast schwarz schimmern.

Wir sind uns jetzt schon sicher, dass diese Aufnahmen viele Fleischi-Fans begeistern werden, als uns eine wunderschöne N. jacquelineae vor die Linse gerät, deren typisches flaches Peristom hellrot leuchtet. BORNEO EXOTICS hat auch eine schöne Hybride aus N. jacquelineae und N. izumiae im Angebot, die natürlich gleich daneben steht. Erwähnen möchten wir noch die aus Sumatra stammende N. talangensis mit leuchtend rotem Peristom und eine von Thomas Alt erzeugte Hybride N. talangensis x N. maxima, mit in Form und Farbe einfach tollen Kannen. Es ist fast unmöglich diese Artenfülle angemessen zu beschreiben, aber zum Glück erscheint ja im April 2005 unsere neue DVD mit dem Titel „NEPENTHES @ BORNEO EXOTICS" (4), auf der alle genannten Pflanzen (etwa 35 Arten/Varietäten) - meist von Robert Cantley selber beschrieben - zu sehen sind.
Allerdings erfahren wir auch von einem Vorgang, der uns erst schlicht unglaublich erscheint. Als Robert Cantley Anfang der 80er die Firma BORNEO EXOTICS in Sri Lanka aufbaute, mit dem festen Vorsatz, Pflanzen nur aus Samen oder Zellkultur zu vermehren, besaß er noch kein eigenes Sterillabor. Er war also gezwungen, neben der Verwendung von Samen, auch mittels Zellkultur vermehrte Nepenthes von Dritten zu erwerben. Für diese Pflanzen galt dann ein Lizenzvertrag, den Rob jetzt nicht verlängerte, da inzwischen das eigene Labor genügend Nachschub liefert. Rob zeigt uns einige der noch nicht verkauften Pflanzen aus diesem Vertrag. Uns gehen fast die Augen über, als wir die vielen, inzwischen voll ausgewachsenen Pflanzen sehen und erfahren, dass der (offensichtlich Konkurrenz fürchtende) Lizenzgeber ausdrücklich darauf besteht, DASS ALLE NOCH EXISTIERENDEN KLONE VERNICHTET WERDEN MÜSSEN, oder es droht ein Verfahren wegen Lizenzvergehen!! Wohlgemerkt, obwohl die ursprünglich winzigen Pflanzen über viele Jahre bei BORNEO EXOTICS versorgt und gepflegt wurden. Insgesamt handelt es sich um mehrere hundert herrliche Nepenthes, die in der Natur durch das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES) geschützt sind. Im März 2005 schickt Rob uns dann die atemberaubenden Videoaufnahmen, die er zur Beweisführung aufnehmen musste: Alle Klone werden zu mehreren Scheiterhaufen aufgeschüttet, mit Kerosin übergossen und angezündet. Die Szene wird am Ende unserer DVD zu sehen sein.

Heiligabend laden wir Rob und Diana als Dankeschön für ihre Gastfreundschaft zum Gala Dinner in unser Hotel ein. Die beiden haben uns während zwei Wochen sehr engagiert beim Filmen unterstützt, wobei die lockere, freundschaftliche Atmosphäre sicher zusätzlich hilfreich war. Das Gala Dinner ist jedoch gleichzeitig schon ein Abschiedsessen, denn am Mittag des 1. Weihnachtstags fahren wir gemeinsam zurück an die Küste. Bei BORNEO EXOTICS in Colombo müssen Pflanzen verpackt und verschickt werden, während Irmgard und ich abends wieder in das Hotel Mount Lavinia zurückkehren, um uns am 26. und 27. Dezember noch am Strand zu erholen. Von Nuwara Eliya waren wir mit Pausen fast 8 Stunden unterwegs, in denen die Dieselabgase bei Irmgard am Ende einen Asthmaanfall auslösen. Wir haben das Spray dabei, es hilft auch, dennoch sind wir total groggy und beschließen am nächsten Morgen nicht wie geplant schon früh an den Strand zu gehen, sondern erst gegen neun Uhr zu frühstücken ...

Als wir das üppige Frühstücksbüffet im „Govenor’s Restaurant" beginnen, fährt laut pfeifend der Zug aus Colombo vorbei, die Bahnlinie verläuft direkt hinter dem Hotel entlang der Küste. Die Sonne scheint bei etwa 25 Grad und einer leichten Brise von einem wolkenlosen Himmel, der Indische Ozean erscheint fast spiegelglatt. Wir lassen es gemütlich angehen, schließlich haben wir alle wichtigen Filmaufnahmen im Kasten. Kurz vor zehn Uhr gehen wir aus dem klimatisierten Raum hinaus auf die Hotelterrasse, die wie das ganze Hotel auf einem Felsen erbaut wurde, der etwa drei Meter hoch über die daneben liegenden Strände ragt und noch 30 Meter weit ins Meer hinaus reicht. Es riecht unangenehm nach Kanalisation und das normalerweise kristallklare Wasser sieht recht trübe und aufgewühlt aus, obwohl der Ozean nach wie vor völlig glatt erscheint. Irmgard fragt laut: „Wo kommt denn der Dreck plötzlich her?" Ein deutscher Tourist, er trägt ein Käppi mit der Aufschrift „Gewerkschaft der Polizei", hört das und kommt mit den Worten auf uns zu: „Im Fernseher in der Hotel-Lobby wurde auf BBC-WORLD gerade gesagt, dass es bei Sumatra ein Seebeben der Stärke 8,9 gegeben hat." Er fügt noch hinzu: „Den Dreck hat also ein Tsunami aufgewühlt!" Na ja, Sumatra ist etwa 2000 km entfernt ... und tatsächlich richtet diese (erste) Wellenfront hier kaum Schäden an. Es entwickelt sich ein kurzes Gespräch über Erdbeben, denn da haben Irmgard und ich in Weil am Rhein (Oberrheingraben!) durchaus schon Erfahrungen gesammelt, als ich nach etwa 2 Minuten bemerke, dass das Wasser plötzlich, völlig unnatürlich einige Meter zurückfließt. Bei Ebbe und Flut schwankte der Pegel bisher deutlich geringer. Da dämmert mir, dass wohl noch eine Welle kommt. Wir beschließen vom Balkon unseres Zimmers (im 5. Stock) ein paar Filmaufnahmen zu machen.

Als die Kamera aufgebaut ist, hat sich am Wasserstand nur wenig geändert. Nach ein paar „Shots" gehe ich mich rasieren, da nichts wesentliches passiert. Drei Monate später lese ich im „SPIEGEL"(7), dass etwa um diese Zeit, ca. 50 km südlich von uns, der Zug aus Colombo von der zweiten Wellenfront, die sich schnell parallel zur Westküste in nördlicher Richtung bewegt, von den Gleisen gespült wird. Allein dabei kommen etwa 1000 Menschen ums Leben. Ich bin mit dem Rasieren noch nicht ganz fertig, als Irmgard mich auf den Balkon ruft, denn jetzt liegen die normalerweise vom Meer umspülten Felsen am Strand plötzlich trocken und das sonst unter der Wasserlinie liegende Felsenriff, 2-300 Meter vor der Küste, taucht aus dem Wasser auf, das ich im Zoom der Kamera dort deutlich abfließen sehe. Plötzlich ertönen Warnrufe, die den am trocken gefallenen Strand nach Muscheln und Krebsen suchenden Einheimischen gelten, die sich daraufhin zum Glück schnell in Sicherheit bringen. Ich halte Ausschau nach einer großen Welle, der Ozean ist jedoch nach wie vor fast spiegelglatt, nur die Strömung am Felsenriff hat sich unversehens umgekehrt, das Wasser kommt also zurück. Aber es gibt keine Welle! Innerhalb weniger Minuten hebt sich jetzt der gesamte, auch weiterhin völlig friedlich erscheinende Ozean an, kriecht fast geräuschlos über den Strand und steigt von etwa Minus zwei Höhenmetern (um die er sich zurückgezogen hatte), rasch den Felsen auf dem unserem Hotel steht empor, mehr als drei Meter über den Stand bei Normal Null (NN). Wir können kaum glauben, was wir sehen. Der Felsen wird überspült und das Meer klatscht noch etwa 20-30 cm hoch über den Hotelrasen an die Hauswand.


Parallel zum Strand ist jetzt eine gewaltige Strömung entstanden, die einem Hochwasser führenden Fluss gleicht, wobei der Wasserspiegel insgesamt aber nach wie vor bis zum Horizont eben erscheint. Wir erleben sozusagen von der Seite den Querschnitt der Wellenfront. Schlagartig beginnt es jetzt intensiv nach Dieselöl zu stinken. Ich richte die Kamera vom gefluteten Hotelrasen auf den Strand in Richtung Colombo, wo das Wasser bis an die vorderen Hütten reicht. Das Meer ist übersäht mit Trümmerteilen, Baumstämmen, Möbeln und Hausrat. Zum Glück liegt Colombo, wo in diesen Minuten die Gullideckel durch den Überdruck des in die Abwasserkanäle drückenden Wassers in die Luft geschleudert werden, und auch der Ort Mount Lavinia hoch genug, dass die Verheerungen auf den direkten Küstenbereich begrenzt bleiben. Jahrzehnte alte Sträucher und Bäume, sowie Teile des Rasens werden mitgerissen, als der Wasserstand nach nur etwa fünf Minuten wieder genauso schnell zu fallen beginnt, wie er gestiegen war. Ja das Meer zieht sich sogar noch weiter zurück, als vor der zweiten Welle, woraufhin ich doch beginne mich zu fragen, wie stabil denn unser Hotel wohl gebaut ist. Einige vorher als harmlos betrachtete längere Risse in den Betonwänden erscheinen plötzlich durchaus bedrohlich.

Tatsächlich ist die dritte Wellenfront aber etwa einen halben Meter niedriger, allerdings kommt diesmal nicht nur Wasser, sondern ein Malstrom sich überschlagender Trümmerteile, Möbel, Bretterwände und Baumstämme, der alles zerschreddert was im Strandbereich noch nicht zerstört war. Zum Glück bleiben die massiven Felsen unter unserem Hotel davon unbeeindruckt. Das benachbarte Fischrestaurant am Strand jedoch ist nur noch eine zerschlagene Ruine, in der ein Palmenstamm und ein Ruderboot liegen. Selbst den schweren Geschirrschrank daraus hat die Flut noch einige Meter beiseite geworfen. Über BBC-WORLD erfahren wir zunehmend was sich wirklich ereignet hat und das Wort „Aftershock" (Nachbeben) lässt kaum jemanden unbeeindruckt.
Südlich von uns werden fast alle am Strand liegenden Hotels stark beschädigt oder gar zerstört. Die Geschichten aus Bentota und Beruwela hören wir am nächsten Tag von den vielen Touristen, die von dort evakuiert und provisorisch im Hotel Mount Lavinia einquartiert werden. Viele haben keine Papiere oder Tickets mehr, manche nur noch eine Badehose oder einen Sarong, häufig sind Beinverletzungen, Prellungen und Schnittwunden. Glücklich ist, wer noch etwas von seinem Gepäck retten konnte. Die meisten stehen unter Schock, reden pausenlos mit weit aufgerissenen Augen, oder starren einfach nur vor sich hin, aber alle wollen nur das Eine: so schnell wie möglich nach Hause!


Im Hotel werden jetzt zusätzliche Tische und Stühle aufgestellt, außerdem gibt es jetzt rund um die Uhr irgendwo auch warmes Essen, damit sich die unregelmäßig eintreffenden, meist geschockten Neuankömmlinge problemlos versorgen können. Obwohl das Hotel jetzt einem Heerlager gleicht (Weihnachten ist Hochsaison in Sri Lanka) klappt die Organisation ausgezeichnet. Sogar direkt nach den Tsunamis, so berichten Betroffene, seien die in den Trümmern ihrer Hotels umherirrenden Touristen von Einheimischen mit Getränken und Curries versorgt worden, obwohl die gerade selber Hab und Gut, oder gar Freunde und Verwandte verloren hatten. Mit etwa 30'000 Toten wurde Sri Lanka nach Indonesien (mehr als 200'000 Opfer) am heftigsten getroffen.



Unter abenteuerlichen Umständen gelingt es uns am 28. Dezember tatsächlich den von uns Monate zuvor gebuchten Flug der CONDOR zu erreichen. Da wir unsere Papiere noch besitzen werden wir am Flughafen an vielen hundert Menschen vorbei, die verzweifelt versuchen irgendeine Maschine zu ergattern - ohne beweisen zu können wer sie sind – in die Lounge und dann zum Abflug-Gate gebracht. Aus dem Urlaubsflieger ist eine Evakuierungsmaschine geworden, die wie im Krieg auch Ärzte, Schwestern, psychologische Betreuer, sowie viele Verletzte und Tote an Bord hat. Über die Leichen im Frachtraum spricht niemand, aber der in Wellen durch das Flugzeug wabernde Gestank lässt keinen Zweifel. Obwohl wir während der Flut in relativer Sicherheit waren, sind wir jetzt mitten drin in der Tragödie. Diese Eindrücke gehen tief und bleiben unglaublich lange haften. Noch Tage nach unserer Rückkehr sind wir irgendwie gelähmt, bringen nichts auf die Reihe, sitzen einfach im Wohnzimmer und verfolgen die Berichte mit ständig steigenden Opferzahlen im Fernsehen. Uns ist jetzt erst richtig klar, wie viel Glück wir hatten, unversehrt, mit allem Gepäck und den Filmen zurück zu sein, nur weil dieser 40 m breite Felsen unter unserem Hotel hoch genug war. Etwa zwei Wochen später sind wir wieder so weit, unsere eigenen Filmaufnahmen erstmalig anzuschauen.

Die Bearbeitung der Flutbilder zu einer separaten 20 Minuten Dokumentation braucht nochmals zwei Wochen. Die Arbeit daran hilft auch das zweifellos vorhandene, diese seltsame Lähmung jeglicher Aktivität hervorrufende Trauma abzubauen. Dann erst beginnen wir den Film zu bearbeiten, dessen Produktion doch unser eigentliches Ziel in Sri Lanka war: Nepenthes @ BORNEO EXOTICS. Dabei stellen wir erleichtert fest, dass es uns trotz allem gelungen ist, genug Material für eine sehenswerte DVD mitzubringen, auf der immerhin 35 Arten oder Varietäten an Nepenthes zu sehen sein werden. Der Film ist zwar (ab Ende April 2005) nur in englischer Sprache erhältlich, jedoch spricht Robert Cantley sehr deutlich und auch Fleischi-Fans mit weniger ausgeprägten Sprachkenntnissen sollten dabei auf ihre Kosten kommen. Wer Interesse hat, findet alle benötigten Informationen zum Film, wie zum Erwerb, auf unserer Homepage www.hartmeyer.de. Natürlich empfehlen wir auch ausdrücklich die Internet Präsentation von BORNEO EXOTICS unter www.borneoexotics.com. Dort hat Robert Cantley auch einen Hilfsfond für Flutopfer eingerichtet, der die gespendeten Gelder ohne Verluste für Transport und Organisation, direkt zu betroffenen Menschen in Sri Lanka bringt. Hilfe die wohl noch lange benötigt wird ...

Referenzen :


(1) Hartmeyer, I., und Hartmeyer, S., 2000, Destination Carnivorous Plants, CD-ROM

(2) Hartmeyer, I., und Hartmeyer, S., 2000, The ICPS Y2K World Conference, DVD

(3) Hartmeyer, I., und Hartmeyer, S., 2002, The International CP Conference Tokyo, DVD

(4) Hartmeyer, I., und Hartmeyer, S., 2005, Nepenthes @ BORNEO EXOTICS, DVD

(5) Adrian Slack, 1986, Insect-Eating Plants & how to grow them, Alphabooks Sherborne, Dorset, England, ISBN 0-906-670-35-7

(6) Charles Clarke & Ch’ien C. Lee, 2004, Nepenthes of Sarawak, Natural History Publications, Borneo, ISBN 983-812-091-X

(7) Diverse Autoren, 2005, Die letzte Fahrt der Königin, DER SPIEGEL 10/2005: 156-164