Eine einfache Methode für Enzymtests an Karnivoren Hartmeyer, S. (1997) Das Taublatt (GFP), Heft 31: 20-27 Erstveröffentlichung unter dem Titel: "Carnivory in Byblis revisited (I): A simple method for enzyme testing on carnivorous plants", Carnivorous Plant Newsletter 26 (ICPS, Juni 1997) Vorgeschichte und Theorie Anfang 1997 unterhielt ich mich mit Dr. Jan Schlauer von der Uni Würzburg
über das Thema Insektivoren, dabei erwähnte er einen Artikel der Autoren Heslop-Harrison
und Knox (1971), worin diese eine einfache und kostengünstige Methode beschreiben, um
Enzymaktivitäten von Karnivoren auf Fotomaterial nachzuweisen. Dies erschien mir so
interessant, dass ich mich spontan entschloß das einmal auszuprobieren. Schon am
nächsten Tag fragte ich einen Bekannten in der Schweiz (Luigi Francini), dessen Hobby die
Fotografie ist und der daher ein kleines Fotolabor besitzt, ob er bereit wäre einige
Filmstreifen für mich zu entwickeln. Luigi, der ebenfalls einige fleischfressende
Pflanzen besitzt, war sofort einverstanden und nach einer kleinen Lektion über
verschiedene Filmmaterialien begannen die Versuche schon am nächsten Wochenende.
Die Theorie ist ganz einfach: Proteolytische Enzyme (Proteolyse ist die Aufspaltung von Eiweißkörpern in Aminosäuren) lösen die Gelatine-Schicht von Fotomaterial. Diese wird als hauchdünne Suspension mit den darin fein verteilten Fotochemikalien wie Halogensilber- Kristallen, Pigmenten etc., auf das Trägermaterial aufgebracht, welches meist aus Acetylcellulose oder Polycarbonat besteht. Heslop-Harrison und Knox verwenden einen Kodalith ortho (12 ASA) Schwarzweißfilm für ihre Versuche. Die Enzymproduktion der Pflanzen wird durch Aufbringen einer Hefelösung stimuliert.12 Stunden darauf werden die Filmstreifen auf den Leimfallen befestigt und 24 Stunden später wieder entfernt. Bei Anwesenheit von Verdauungsenzymen entsteht ein typisches Punktmuster. Während Enzymbestimmungen im Labor aufgrund der dazu notwendigen Methoden (z.B. mit Proteingelen) recht kostspielig sind, bietet das Verfahren mit Fotomaterial eine einfache Alternative, die mit wenigen Pfennigen pro Test nicht nur ausgesprochen preiswert und dadurch auch für private Sammler interessant, sondern entsprechend adaptiert sogar für Feldversuche geeignet ist. Geeignetes Fotomaterial und
dessen Anwendung
In der Literatur wird ein Kodalith ortho (Schwarzweißfilm)
verwendet, der hauptsächlich für Lithographie, Mikrofotografie und andere industrielle
Zwecke eingesetzt wird, da er sehr robust ist und einen großen Kontrastbereich bietet. Da
dieser Industriefilm von Fotogeschäften normalerweise erst bestellt werden muß und daher
nicht auf Anhieb greifbar ist, beschließe ich einige handelsübliche Sorten mit
unterschiedlicher Gelatine-Beschichtung zu testen. Luigi Francini empfiehlt drei
entsprechende Schwarzweißfilme der Marke ILFORDä . Je
empfindlicher der Film, desto dicker ist die Gelschicht und um so grobkörniger sind die
Silberhalogenide darin. Eine erste Versuchsreihe mit ILFORDä
FP4 (125 ASA), ILFORDä HP5 (400 ASA) und ILFORDä XP2 (400
ASA) auf Drosera capensis, Drosera
cuneifolia und Byblis liniflora soll zeigen, welches Material am geeignetsten
ist. Da ich beabsichtige, die in der Literatur beschriebene Methode dahingehend zu
vereinfachen, daß kein chemisches Bad für die Entwicklung (ohne Fixierung) des Films
mehr benötigt wird, verwende ich das Material direkt aus der Rolle, ohne spezielle
Vorbehandlung. Nach der Reaktionszeit auf den Pflanzen allerdings entwickelt Luigi
Francini die Filmstreifen ohne anschließendes Fixierbad, um die Negative zur
Dokumentation haltbar zu machen, außerdem werden die Details der "Abbildungen"
dadurch auf Vergrößerungen noch besser sichtbar. Bei der Auswertung zeigen die beiden
grobkörnigeren 400 ASA Filme mit der dickeren Gelschicht eindeutig klarere Resultate. Die
auf Sonnentau (Drosera) exponierten Streifen zeigen eine Art
"Röntgenfoto" des Fangblatts, das in gelungenen Fällen sogar die
Identifikation der Pflanze ermöglicht. Deutlich schwächer sind die Resultate auf dem 125
ASA FP4 Film, mit Ausnahme einer mit getrockneten Mückenlarven gefütterten Drosera
cuneifolia, die ein zwei Millimeter großes Loch in der Gelatine
hinterläßt.
Ansonsten zeigen die Streifen auch nach dem Entwickeln nur eine schwach erkennbare
Musterung oder gar nichts. Das ist insofern überraschend, weil der in der Literatur
verwendete Kodalith ortho Film sogar nur 12 ASA Empfindlichkeit hat.
Die Negative des HP5 und XP2 Materials zeigen die Enzymaktivität schwarz - weiß umgekehrt an. Gegen Licht gehalten sind die Konturen der Leimtröpfchen und in besonders gelungenen Fällen sogar der ganzen Tentakel auf dem XP2 Film so deutlich erkennbar, daß die oben erwähnten "Röntgenfotos" entstehen. Die ganze Blattfläche ist hell bis blaß grau sichtbar, was vermutlich durch Quellung der Gelatine oder Auswaschung von Silbersalzen durch Feuchtigkeit während der Expositionszeit entsteht. Dies ist kein Zeichen von Enzymaktivität, da es auch durch reines Wasser hervorgerufen wird. Interessanter sind die schwarzen Zentren mit teilweise deutlicher Perforation. Hier wurde die Gelatine von Protein lösenden Enzymen angegriffen. Der schwarze Rand um die durchleuchteten Löcher bildet den besten Kontrast, weswegen ich das XP2 Material für die weiteren Versuche auswähle. Um den Film zu belichten, ziehe ich ihn einfach aus der Rolle und schneide ihn, entsprechend der vorgesehenen Testpflanze, in 1 - 2,5 cm breite Streifen. Um diese dauerhaft und Entwicklungsbad beständig zu kennzeichnen, markiere ich die Streifen mit verschiedenen Kerben, deren Zuordnung ich sorgfältig im Versuchsprotokoll notiere. Das korrekte Befestigen der Filmstreifen auf den Fangblättern benötigt dann nochmals etwas Geschicklichkeit um wirklich gute Abbildungen zu erhalten. Auswahl geeigneter Karnivoren Um die Methode zu überprüfen, wähle ich ausgewachsene Exemplare von Drosera
capensis und Drosera cuneifolia als Referenz-Pflanzen aus, da bei Sonnentau
eine Produktion von Verdauungsenzymen bereits gründlich untersucht und nachgewiesen
worden ist. Zusätzlich verwende ich eine etwa einjährige Regenbogenpflanze (Byblis
liniflora), deren Fähigkeit zur Enzymproduktion in der Literatur nicht zweifelsfrei
geklärt ist. Bruce (1905) führte einige Untersuchungen an Byblis gigantea durch,
die bei Perth im Südwesten Australiens vorkommt und fand positive Resultate, allerdings
untersuchte er keine Byblis liniflora. Für mich ist diese Frage von
besonderem Interesse, da ich mit meiner Frau 1995 an Naturstandorten dieser
insektenfangenden Pflanze, im tropischen Nordaustralien, eine Gemeinschaft mit Blindwanzen
(Familie Miridae) auf unserem Video ‘REISEZIEL INSEKTIVOREN (Fleischfressende
Pflanzen) dokumentieren konnte, die viele Übereinstimmungen mit der Wechselbeziehung
zwischen den zwei Arten der südafrikanischen Taupflanzen (Roridula) und den auf
ihnen lebenden Pameridea-Wanzen (die ebenfalls zu den Miridae zählen)
erkennen läßt. Diese Symbiose konnten wir sechs Jahre lang in unserem Wohnzimmer in Weil
am Rhein beobachten und auf unserem Video ‘DAS INSEKTIVOREN (FLEISCHI) Video
1993’ zeigen. Allerdings wird Roridula von vielen Fachleuten der Status einer
echten Karnivore nicht zuerkannt, da sie über keinerlei eigene Enzymproduktion verfügt.
Die zukünftige Zuordnung von Byblis zu den Karnivoren würde, wenn diese wie Roridula
keine Enzyme produziert und sogar die gleiche Symbiose mit eng verwandten Blindwanzen
zeigt, sicher einer erneuten Diskussion bedürfen.
Das Resultat dieser Versuche ist auch für die aktuelle Diskussion über den Plumbagin-Zweig unter den Karnivoren interessant. Plumbagin produzieren die "alten" Familien Droseraceae, Nepenthaceae und Dioncophyllaceae, bei denen alle Arten eigene proteolytische Enzyme produzieren (Schlauer 1997). Dieses einheitliche Verhalten zeigen bei den ‘plumbaginfreien’ Karnivoren nur die "modernen" Familien Cephalotaceae und Lentibulariaceae. Sogar die amerikanischen Schlauchpflanzen (Sarraceniaceae), welche in fast keinem Insektivorenbuch fehlen, stehen zur Diskussion, denn einige Arten wie Darlingtonia und diverse Heliamphora produzieren keine Enzyme. Interessanter Weise lassen diese Pflanzen ihre Beute ausnahmslos von diversen Kerbtieren (Arthropoden) und/oder Mikroorganismen verdauen. Dies wurde erst kürzlich in einem Bericht der Autoren Alice und Midgeley (1996) bestätigt. Sie machten Versuche mit durch Isotopen (15N) markierten Fruchtfliegen, auf von Pameridea-Wanzen besiedelten Roridula. Sie wiesen nach, daß die von den Wanzen aus den Fliegen gesaugten Isotope über die Fäkalien auf die Blätter gelangen und dort über die Spaltöffnungen absorbiert werden. Dadurch ist jetzt bewiesen, daß Roridula doch in der Lage ist direkt von der vielfältigen Beute ihrer Leimfallen zu profitieren und nicht nur über den verlustreichen Weg der Bodendüngung, durch herabfallenden Zersetzungsprodukte der Tiere. Die Resultate weiterer Enzymtests würden also zur Klärung der Frage beitragen, ob man in Zukunft auch solche, bisher eindeutig den Karnivoren zugeordnete Pflanzen wie Byblis, Darlingtonia und Heliamphora nicht mehr zu den echten Karnivoren zählen darf, oder ob die Definition des Begriffs Karnivorie dahingehend reformiert werden muß, daß zukünftig auch passives Verdauen der gefangenen Beute durch Symbiose inbegriffen ist. Stimulieren der
Enzymproduktion
In der Literatur wird zum "triggern" der Enzymproduktion
Hefelösung verwendet. Einige Vorversuche mit kleinen Stücken reiner Bäckerhefe, sowie
unterschiedlich konzentrierten wäßrigen Lösungen derselben an Sonnentau, zeigten in
allen Fällen eine deutliche Reaktion der behandelten Pflanzen, deren Tentakel und ganze
Blätter die behandelten Stellen nach kurzer Zeit zu umschließen beginnen. Ist die
Lösung jedoch zu konzentriert, entstehen schnell Klumpen oder Krusten auf den Fallen.
Diese führen, genau wie reine Hefestückchen und ein Versuch mit getrockneten
Mückenlarven (verursachen die am stärksten sichtbare Reaktion !), zu schlechten
Abbildungen der Konturen auf dem Film. Die besten Resultate erzielte ich mit einer Lösung
von 10 % Hefe in entmineralisiertem Wasser, von der je nach Größe der Falle, ein bis
drei Tropfen mit einer Pasteurpipette aufgebracht werden. Diese Prozedur liefert die
detailliertesten Konturen und ist auch für alle Pflanzen problemlos verträglich.
Vorbereitung der Versuchsreihe Die oben beschriebenen Vorversuche ergaben ein weiteres Resultat in Bezug auf Byblis, dessen Eindeutigkeit ich so nicht erwartet hätte. Auf dem 400 ASA Material zeigten alle Drosera klar positive Reaktionen, was das Funktionieren der Methode bestätigt, jedoch keine einzige meiner prächtig blühenden Byblis zeigte die geringste Spur proteolytischer Enzyme. Um diese Ergebnisse zu überprüfen, stelle ich die im folgenden beschriebene Testreihe zusammen:
Auswertung der Versuchsreihe Die Auswertung der Filmstreifen konnte direkt nach dem Entfernen von der Pflanze erfolgen. Ein anschließendes Entwickeln ohne Fixierbad macht die Negative zur Dokumentation haltbar, eine wesentliche Verbesserung des Testbildes hat das jedoch nicht mehr zur Folge.
Schlußfolgerungen Der Einsatz von Drosera als Referenz für den Nachweis proteolytischer Enzyme hat sich bewährt. Die Abwesenheit dieser bei Byblis liniflora ist eine echte Überraschung und weitere Versuche auch mit anderen Arten sind geplant. Deren Beschreibung würde allerdings den Rahmen dieses Artikels sprengen. Die beschriebene Testmethode ist nicht nur ausgesprochen preiswert (Eine Filmrolle reicht für etwa 50 Tests), sondern zeigt zusätzlich eine sehr gute Reproduzierbarkeit und ist dabei noch völlig harmlos für die untersuchten Pflanzen. Im Gegenteil, je mehr Hefelösung oder Mückenlarven die Pflanzen erhalten, desto größer ist auch deren Profit durch verdautes Protein. Diese Eigenschaften sind auch für private Sammler besonders interessant, die nun ohne großen Aufwand ihre mit Leimfallen bestückten Raritäten untersuchen können. Auch für Feldversuche ist die Methode geeignet, wenn die untersuchten Pflanzen entsprechend gegen die Witterung geschützt werden. Der Clou der hier beschriebenen Methode besteht darin, daß ein handelsüblicher, preiswerter Schwarzweißfilm (z.B.: ILFORD XP2 400 ASA) direkt aus der Rolle gezogen und ohne ein chemisches Bad zu benötigen, reproduzierbare Enzym-Nachweise liefert. Abschließend möchte ich mich nochmals bei Herrn Luigi Francini für die professionelle Durchführung der Fotoarbeiten bedanken, sowie all denjenigen gutes Gelingen wünschen, welche diesen Test einmal probieren wollen und (hoffentlich !) in einem Beitrag darüber berichten werden. Dieses Gebiet birgt sicher noch so manche Überraschung.
Tabelle 1 (Resultate der Experimente vom 17. bis 26. Januar 1997):
- - - = Enzymtest negativ + = Enzymtest positiv (Gelschicht zeigt dunkle Zentren ohne Perforation) ++ = Enzymtest positiv (Gelschicht zeigt dunkle Zentren, teilweise perforiert) +++ = Enzymtest positiv (Gelschicht stark perforiert, teilweise große Löcher)
c) Vierfach-Bestimmung d) Test 1 der Doppelbestimmung e) Test 2 der Doppelbestimmung f) 1,5 Mückenlarven statt Hefelösung g) Dreifach-Bestimmung h) Löcher durch mechanische Beschädigung der Gelschicht (siehe Auswertung). Anmerkung: Alle Mehrfachtests zeigten identische Resultate.
Literaturverzeichnis Bruce, A.N. (1905) On the actuvity of the glands of Byblis gigantea, Notes Royal Botanical Garden, Edinburgh, 16: 9-14 Carow, T. (1996) Todesfallen oder Lebensspender ? Die neue Sicht der fleischfressenden
Pflanzen (Dokumentarfilm). Radke R, (Redaktion.), ZDF ‘Naturzeit’, Ellis, A.G., and Midgley, J.J. (1996) A new plant animal mutualism involving a plant with sticky leaves and a resident hemipteran insect, Oecologia, 106: 478 - 481 Hartmeyer, S., und Hartmeyer, I. (1993) Das Insektivoren (Fleischi) Video 1993, private Produktion des Autors Hartmeyer, S., und Hartmeyer, I. (1995) Reiseziel Insektivoren (Fleischfressende Pflanzen), private Produktion des Autors Heslop-Harrison, Y., and Knox, R.B. (1971) A cytochemical study of the leaf-gland enzymes of insectivorous plants of the genus Pinguicula, Planta 96: 183 - 211 Juniper, B.E., Robins, R.J., Joel, D.M. (1989) The Carnivorous Plants, Academic Press Limited, London. Schlauer, J. (1997) " New" data relating to the evolution and phylogeny of some carnivorous plant families, Carnivorous Plant Newsletter,Volume 26 |