Ein neuer Sonnentau aus dem Ord River Gebiet (Nordaustralien) Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S. (2001) TAUBLATT (GFP) 2002/1: 25-28 Der erste Fund
Im April 1995 durchstreiften wir beide eine Speergras-Wiese im
Ord River Gebiet, nördlich von Kununurra, um Insektivoren für unser Videoprojekt
(Hartmeyer & Hartmeyer, 1995) zu filmen. Dabei entdeckte Siggi ein einzelnes Exemplar
eines bemerkenswerten Sonnentaus, der auf den ersten Blick wie eine rote Drosera indica
erschien, bei näherer Betrachtung jedoch deutliche Unterschiede zeigte. Die auffallend
dunkelroten Fangblätter waren zierlicher und der Blütenstengel ragte nicht seitlich
gebogen heraus, sondern verlief direkt vom Stamm aus, parallel zu diesem senkrecht nach
oben. Zwischen den Blättern fielen leuchtend gelbe Flecken auf, die wir damals für im
Klebstoff haftende Pollen der rundherum wachsenden Gräser hielten. Wir filmten die
erstaunliche Pflanze und zeigten sie auf unserem Video mit dem Hinweis: "Dies ist
möglicherweise eine neue Art. Bitte geben Sie uns Bescheid, falls Sie eine solche Drosera
schon einmal gesehen haben !"
Die erste Reaktion kam von Dr. Jan Schlauer (einem bekannten
Experten für Insektivoren und Koeditor des Carnivorous Plant Newsletter), als wir
Teile unseres neuen Films anläßlich der Jahreshauptversammlung der GFP (1995 in Merzig)
zeigten. Er fand die ganze Pflanze sehr interessant und fragte uns, ob wir lebende
Exemplare, Samen oder Herbarproben hätten. Unglücklicherweise fanden wir damals keine
reifen Samen und auf unseren Videotouren gilt selbstverständlich das Motto: Take only
pictures - leave only footprints ! Wir konnten also lediglich unsere Videoaufnahmen
vorweisen, was jedoch nicht genügt, um eine neue Art wissenschaftlich zu beschreiben.
Wir waren überzeugt, daß der von uns im östlichen Kimberley gefundene Sonnentau zwar der Drosera indica ähnelt, jedoch deutliche Unterschiede zeigt Wir planten eine erneute Reise um ihn wiederzufinden, konnten diese jedoch aufgrund ernster gesundheitlicher Probleme, die Siggi zwangen, in Rente zu gehen, nicht realisieren. Sechs Jahre vergingen, bis wir wiederum im April, glücklich und voller Erwartung auf dem kleinen Flughafen von Kununurra landeten. Die Wiederentdeckung Das Klima war deutlich feuchter als 1995, denn die in den
Kimberleys im April endende Regenzeit brachte 2001 heftige Niederschläge und die
Luftfeuchtigkeit lag über 80%. Der Wetterbericht sagte für Kununurra fast konstant 34 -
36°C voraus, wobei die Nachttemperaturen kaum unter 24°C fielen. Unter diesen
Bedingungen beschlossen wir, vormittags im klimatisierten Auto interessante Standorte
auszukundschaften und am Nachmittag, wenn die Temperaturen erträglicher wurden, dort zu
filmen. Während der heißesten Zeit pausierten wir in unserem Bungalow, am Seeufer des
"Kona Lakeside Caravan Park". Es ist nicht empfehlenswert, Byblis und Drosera
Standorte nachmittags zu suchen, da die Blüten sich früh schließen und die Pflanzen
zwischen den Gräsern dann viel schwerer zu finden sind.
Als erstes fuhren wir zu jener Wiese, nördlich von Kununurra, wo wir den außergewöhnlichen roten Sonnenau sechs Jahre zuvor gefunden hatten. Aber diese war noch überflutet und nicht einmal die Blüte einer Utricularia war zu sehen. Auch die nähere Umgebung durchsuchten wir erfolglos. Etwas enttäuscht fuhren wir weiter zu der Stelle, wo wir 1995 große Drosera ordensis gefunden hatten, die von kleinen Cyrtopeltis Wanzen besiedelt waren. Wir wurden wiederum enttäuscht, da am Straßenrand irgend ein Kabel verlegt und alles mit einer dicken Schicht Laterit Schotter abgedeckt worden war. Die Vegetation wurde dabei zerstört und auch in der Wiese daneben gab es keine Sonnentau mehr. Da angeblich alle guten Dinge "Drei" sind, machten wir einen neuen Versuch. Dabei besannen wir uns der eigenen Vorschläge zum Auffinden von Insektivoren in den Kimberleys, die wir auf unserer CD-ROM (Hartmeyer & Hartmeyer, 2000) geben: "Achte auf Gruppen von Pandanus Bäumen, die am Rand der Straße in Speergras-Wiesen stehen!" Wir fuhren also weiter, bis eine Gruppe von vier oder fünf dieser auffälligen Bäume am Straßenrand auftauchte und hielten an. Die Wiese begann etwa drei bis vier Meter neben der Fahrbahn und bereits nach wenigen Schritten standen wir nicht etwa vor Drosera burmanni oder Byblis filifolia, die hier wohl zu erwarten gewesen wären. Nein, wir trauten fast unseren Augen nicht, die erste Fleischfressende Pflanze die wir sahen, war die gesuchte rote Drosera, die zu finden wir extra zwei Wochen Suche eingeplant hatten. Trotz unserer Aufregung und Begeisterung, kehrten wir gleich darauf zu einer erfrischenden Pause in unseren Bungalow zurück, denn 35°C im Schatten können sehr heiß sein, wenn es so gut wie keinen Schatten gibt. Als die Hitze etwas nachließ, legten wir eine neue Schicht Sonnenschutz auf, fügten eine Portion "Bushman-Ultra-Repellent" gegen stechende Plagegeister hinzu und kehrten an den Standort zurück, um unseren Sonnentau auf digitales Videoband zu bannen. Der Boden besteht dort aus feinem Quarzsand, der aus den
uralten Sandstein Formationen der Kimberleys (bekannt unter Namen wie "Bungle
Bungles" oder "Hidden Valley") erodiert worden war. Dazwischen immer wieder
rote Lateritstücke. Beim Knien vor der Kamera wird deutlich, daß der recht trocken
erscheinende Boden ziemlich feucht ist, denn die Jeans saugt sich schnell
naß. Die
Verdunstung dieser Feuchtigkeit schafft über dem Wiesenboden ein kühleres Mikroklima,
das den Pflanzen das Überleben an sonnigen Stellen erleichtert, während der Laterit
Schotter neben der Straße, bar jeglicher Vegetation, zu heiß ist, um darauf barfuß zu
stehen. Das etwa zwei Meter hohe Speergras ist dominierend. Neben Pandanus, sowie niederen
Gräsern, finden sich blühende Kräuter, zahlreiche Byblis filifolia (bewohnt von Setocornis
Wanzen) und wenige kleine Drosera ordensis.
Es war der 21. April, etwa 16.30 Uhr. Ein zusätzlicher Macro-Arm war bereits auf dem Stativ befestigt und der manuelle Weißabgleich durchgeführt. Nach einem ersten Blick auf den kleinen LCD Schirm der Kamera entdeckt Siggi wiederum die leuchtend gelben Punkte auf den Fangblättern, die auch auf unserem 95'er Video zu sehen waren. Es handelte sich dabei jedoch nicht um herangewehte Gräserpollen, denn sie befanden sich zu regelmäßig ungefähr auf den ersten 5 mm vom Stamm aus. Wir überlegten, ob es sich vielleicht um die gestielten Eier von Schmetterlingen handeln könnte. Beim Versuch diese zu entfernen zeigte sich jedoch, daß sie fest an der Pflanze hafteten, wie angewachsen. Sehr seltsam für einen Sonnentau! Während Siggi die Drosera filmte suchte Irmgard weiter die Umgebung ab und rief plötzlich: "Zwanzig Meter weiter sind noch mehr als hundert Pflanzen!" Wir brachten die Kamera dort in Stellung und schauten uns die pink blühenden und sogar reife Samen tragenden Prachtexemplare genau an. Nach einigen Minuten wurde klar, daß man Herbarproben an Jan Schlauer schicken sollten, damit er weitergehende Untersuchungen durchführen konnte. Denn die gelben Emergenzen erwiesen sich eindeutig als bizarrer Bestandteil dieses Sonnentaus. Sie waren auf allen Blättern vorhanden und sahen aus wie modifizierte Tentakel, die statt eines Schleimtropfens einen nicht klebenden, leuchtend gelben Kopf ausbildeten, dessen Farbe stark mit dem dunkelroten Blatt kontrastierte. Über die Funktion dieser Emergenzen kann momentan nur spekuliert werden. Auf alle Fälle produziert kein anderer, bisher bekannter Sonnentau solche gelben Strukturen, auch nicht Drosera indica. Gegen 18.00 Uhr zeigte das Thermometer auf Siggis Uhr noch
29°C. Während die Luft abkühlte, konnten wir fühlen, wie die relative Luftfeuchtigkeit
anstieg, und über dem Boden zwischen dem Speergras begannen sich feine Nebelschlieren zu
bilden. Wir filmten noch den beeindruckenden Sonnenuntergang, machten uns dann aber sofort
auf den Weg zurück zum Bungalow, denn die hier "Mossies" genannten Stechmücken
wurden jetzt so zahlreich, daß auch das "Bushman Ultra Repellent" nichts mehr
nützte. An diesem Abend schauten wir uns begeistert die Videoausbeute an und feierten die
Wiederentdeckung unseres Sonnentau mit einer guten Flasche australischem Cabernet
Sauvignon.
Zurück in Deutschland wandten wir uns unverzüglich an Jan Schlauer, denn wir stellten schnell fest, dass solche Pflanzen schon seit mehreren Jahren weltweit in Kultur waren, als Drosera indica "red". Er bestätigte, dass wir eine deutlich unterscheidbare neue Art gefunden hatten. Er erklärte sich bereit, die wissenschaftliche Beschreibung und die Namengebung vorzunehmen, damit wir uns ganz der Bearbeitung unseres neuen Videos mit dem Titel "FLEISCHIMANIA" widmen konnten. Seine Arbeit wurde zusammen mit der englischen Version dieses Artikels im Dezember 2001 im Carnivorous Plant Newsletter der International Carnivorous Plant Society (ICPS) als Erstveröffentlichung publiziert. Die neue Art erhielt den Namen Drosera hartmeyerorum Schlauer, worüber wir verständlicherweise sehr erfreut waren. Die deutsche Übersetzung der botanischen Beschreibung finden Sie in diesem Heft unter dem Titel "Ein neuer Sonnentau in Sektion Arachnopus aus Nordaustralien". Weitere Informationen gibt es auf unserer Homepage.
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