Urtümliche und moderne Tentakel
unter dem Mikroskop Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S.
(2008) DAS TAUBLATT (GFP)
2008/3: 36-43
Dieser Artikel war ursprünglich eine Filmsequenz unserer im September 08 erscheinenden DVD (Triple „E" trifft Triphyophyllum) und wurde für Das Taublatt mit wenigen Änderungen aus deren Sprechtext übernommen. Die beigefügten Aufnahmen sind Standbilder von unserem DV Masterband, also keine hochauflösenden Fotos, weshalb wir für die niedrige Auflösung im Druck um Nachsicht bitten. Der Inhalt wurde kürzlich auch in Stewart McPhersons neuem Buch „Glistening Carnivores" gedruckt, ist also gleichzeitig eine gekürzte deutsche Übersetzung dazu. Wir wollen mit diesem Artikel eine Art Upgrade zu unseren älteren Berichten über die Schnelltentakel bieten, in der Hoffnung, nicht langweilig zu werden. Die urtümlichen Sonnentau unter dem Mikroskop Den Leimtentakeln auf der Blattoberfläche verdanken die Sonnentau ihren Namen. Das sind aufrecht stehende zylindrische Stiele mit Drüsen übersäten Köpfen, welche die glitzernden Schleimtröpfchen erzeugen. Durch Veränderungen des Zelldrucks an bestimmten Stellen der Stiele, sind diese Tentakel bei allen Arten in der Lage, sich innerhalb von Minuten oder Stunden auf ein Beutetier hin zu bewegen, um Fangprozess und Verdauung zu unterstützen. Auch wenn die Form der symmetrischen Tentakelköpfe bei unterschiedlichen Arten etwas variieren kann, solche gewöhnlichen Tentakel entwickeln alle Sonnentau.
Im Unterschied zu den stammesgeschichtlich Ältesten, besitzen die von uns als moderne Drosera bezeichneten Arten zusätzlich am Blattrand Tentakel, deren Stiel nicht durchgehend zylindrisch ist, sondern unten mit einer breiten Basis entspringt, welche Teil der Blattfläche ist. Diese Marginal- oder Randtentakel können sich deutlich schneller bewegen als diejenigen auf der Blattoberfläche und zeigen, abhängig von Art und Alter der Pflanzen, eindeutige morphologische Unterschiede, aufgrund derer wir drei verschiedene Typen unterscheiden können.
Der Begriff „Schnelltentakel" wurde von uns für T2 und T3 etabliert, um die spezielle Struktur und Funktion von derjenigen der gewöhnlichen Leimtentakel aller Sonnentau, sowie der verlängerten T1 Randtentakel zu unterscheiden. Die sensationelle Geschwindigkeit der Schnelltentakel von Drosera glanduligera ist anschaulich zu sehen, wenn man Video Einzelbilder der Bewegung mit denen der berühmten Venus Fliegenfalle vergleicht, die zwar einer eigenen Gattung angehört, aber ebenfalls ein Mitglied der Sonnentaufamilie Droseraceae ist. Ähnlichkeiten von einzelnen Strukturen und Geschwindigkeit der Klappfunktion sind hoch interessant, da gemäß der Forschungen von Prof. Stephen Williams in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts auch die Sensorhaare von Dionaea und Aldrovanda als modifizierte Sonnentautentakel betrachtet werden können. Sämlinge und Jungpflanzen
Eine interessante Ausnahme von diesem Verhaltensmuster macht die einzigartige Drosera glanduligera. Nach den Keimblättern bilden die Sämlinge erst Blätter mit drüsigen T1 Marginaltentakeln, T2 Schnelltentakel werden zu keinem Zeitpunkt produziert. Dann folgen Blattgenerationen, in denen einige Tentakel eine Zwischenform aus T1 und T3 ausbilden. Erst nach drei bis vier Blattgenerationen entstehen voll entwickelte T3 Schnelltentakel, die auch wirklich als Klappfalle funktionieren. Betrachtet man diese ontogenetische Entwicklung, ist Drosera glanduligera aus stammesgeschichtlicher Sicht wohl der Älteste der modernen Sonnentau, obwohl er die raffiniertesten Schnelltentakel besitzt. Eine zweite Ausnahme bilden die zweifellos modernen Knollen bildenden Drosera der Sektion Ergaleium. Weder Sämlinge, noch adulte Pflanzen bilden Schnelltentakel. Allerdings besitzen viele Arten eindeutige T1 Marginaltentakel, die mitunter durchaus auch in der Lage sind, sich recht schnell zu bewegen, wie zum Beispiel bei Drosera macrantha. Das konnten wir durch Zufall filmen, als das Kameraobjektiv bei Makroaufnahmen versehentlich das Blatt berührte. Übergangsformen
Zum Schluss noch ein Blick auf die Sektion Arachnopus, deren Arten ebenfalls keine typischen Marginaltentakel bilden, dafür aber offensichtlich eine andere Strategie verfolgen als die modernen Sonnentau. Bestimmte Tentakel wurden hier nicht dafür modifiziert, gefangene Beute zu fixieren, sondern deren Effektivität zur Anlockung zu steigern. Ein Beispiel zeigen die auffälligen, ein gelbes Licht reflektierenden Linsententakel von Drosera hartmeyerorum (siehe oben), oder bisher selten gezeigt, auch rote Emergenzen auf der Blattunterseite von als Drosera indica gehandelten Pflanzen. Deren Funktion ist noch unklar, aber die Art zeigt deutliche Unterschiede zum „Indischen Sonnentau". Es gibt noch mehr Beispiele, daher werden der Sektion Arachnopus in Zukunft sicher noch weitere Arten zugeordnet werden. Die jüngsten Funde dazu sind so vielfältig, dass es genug Material für einen neuen Film gibt. Das ist auch gut so, denn daher bleibt das Thema interessant und spannend. Literatur: Davion, R., (1995) Now you see it - Now you don’t, FLYTRAP NEWS (CPSNSW) Vol. 8/4:17 Davion, R., (1999) That damned elusive Pimpernel, FLYTRAP NEWS (CPSNSW) Vol. 13/1:10 Hartmeyer, I., Hartmeyer, S., (2002) The International Carnivorous Plant Conference – 2002 in Tokyo - Droseraceae Symposium, private DVD Hartmeyer, I., Hartmeyer, S., (2005) Drosera glanduligera, Der Sonnentau mit „Klapp-Tentakeln", DAS TAUBLATT (GFP) 2005/2: 34-38 Hartmeyer, I., Hartmeyer, S., (2006) Verborgene Vielfalt: Die Schnelltentakel der Gattung Drosera, DAS TAUBLATT (GFP) 2006/1: 38-50 Hartmeyer, I., Hartmeyer, S,. (2006) Drosera hartmeyerorum - Der Sonnentau mit Lichtreflektoren, DAS TAUBLATT (GFP) 2006/3: 4-9 Hartmeyer, I., Hartmeyer, S., (2006) Drosera - Schnelltentakel und Landescheinwerfer" (Englisch: Drosera – Snap-Tentacles and Runway-Lights), private DVD Hartmeyer, I., Hartmeyer, S., (2008) Triple "E" trifft Triphyophyllum, (Englisch: Triple "E" Meets Triphyophyllum), private DVD Juniper, B.E., Robins, R.J., Joel, D.M., (1989) The Carnivorous Plants, Academic Press London: 303 McPherson, S., (2008) Glistening Carnivores - The Sticky-Leaved Insect-Eating Plants, Redfern Natural History Productions, Poole, Dorset, England Williams, S.E., Pickard, B.G., Connections and Barriers between Cells of Drosera Tentacles in Relation to Their Electrophysiology, Planta (Berl.) 116, 1-16 (1974) Williams, S.E., Comparative Sensory Physiology of the Droseraceae - The Evolution of a Plant Sensory System, Proceedings of the American Philosophical Society, Vol. 120 No. 3, June 1976 Williams, S.E., Pickard, B.G., The Role of Action Potentials in the Control of Capture Movements of Drosera and Dionaea, Plant Growth Substances 1979, Springer Verlag Berlin-Heidelberg-New York |