Die überraschende Kreuzung
von Byblis filifolia 'Goliath' mit Erstpublikation: Carnivorous Plant Newsletter 40: 129-135 Die Problematik bei Byblishybriden
Die recht große und sich stark verzweigende Byblis
filifolia-Sorte 'Goliath' (Barnes 2009) wurde mit der kleinwüchsigen
und unter normalen Umständen unverzweigten Byblis liniflora-Sorte 'David' im Gewächshaus erfolgreich gekreuzt. Dies ist von besonderem Interesse,
da es sich bei B. filifolia um eine selbststerile Art handelt, welche
ihre Pollen nur bei Vibration durch den Flügelschlag eines anfliegenden Insekts
freigibt (Buzz-Pollination), während die Blüten von B. liniflora auch
ohne Vibration Pollen abgeben und dabei selbstbefruchtend sind. Die
überraschend entstandene Hybride bildet Verzweigungen wie Byblis 'Goliath', jedoch mit selbstbestäubenden Blüten wie bei Byblis 'David'. Das ist zusätzlich bemerkenswert, da die Fachliteratur besagt, dass
Kreuzungen tropischer Byblisarten in der Natur nie mit Sicherheit nachgewiesen
wurden. Dieser Artikel beschreibt den Ablauf des Experiments im Gewächshaus und
bietet eine vergleichende Studie der drei Pflanzen. Vor der Erstveröffentlichung des Experiments
im Dezember 2011 im Carnivorous Plant Newsletter (CPN) der internationalen
Karnivorengesellschaft ICPS (USA), wurde selbstverständlich auch die Meinung
von Fachleuten eingeholt, welche Byblishybriden bisher für unmöglich, oder
zumindest für äußerst unwahrscheinlich halten. Zwar wurden die im Experiment
dokumentierten Eigenschaften der Pflanzen nicht bestritten, das Gegenargument
lautete jedoch, es könne sich dabei auch um eine spontane Mutation handeln, da
viele Angehörige der Gattung dafür bekannt sind, von Generation zu Generation
im Aussehen inkonsistent zu sein. Um diese Behauptung mit Sicherheit
ausschließen zu können, bedarf es jedoch weiterer Untersuchungen (zum Beispiel
der Chromosomenzahl), die jedoch aus Zeitgründen vor Redaktionsschluss des CPN
und auch dieses Taublatts nicht mehr möglich waren. Unter Berücksichtigung
dieser Diskussion wurde der Korrektheit halber entschieden, die Hybride bis zur
endgültigen Bestätigung ihres Status als Byblis cf. filifolia x
liniflora zu bezeichnen. Dabei steht die Abkürzung „cf.“ für das
lateinische „confer“ und bedeutet, dass die Bezeichnung mit großer
Wahrscheinlichkeit korrekt ist, jedoch noch eine kleine Unsicherheit besteht.
In diesem Fall eben die - besonders nach der inzwischen gelungenen Wiederholung
der Querbestäubung mit Samenbildung – recht unwahrscheinliche Möglichkeit der
spontanen Mutation.
Die P-Generation (Elternpflanzen, P steht dabei für das lateinische „parental“) wachsen nebeneinander im Anstauverfahren (nur entmineralisiertes Wasser) in unserem tropischen Gewächshaus in Weil am Rhein. Sie erhalten in Südwestlage volles Sonnenlicht. Im Sommer liegen die Tagestemperaturen bei etwa 24-36°C (Winter = 15-26°C), die Nachttemperaturen schwanken zwischen 16-24°C (Winter = 12-15°C). Von etwa Mitte Oktober bis Anfang April wird zusätzlich mit 400 Watt HQI-Lampen beleuchtet. Während des Kreuzungsexperiments waren im Gewächshaus keine anderen Byblisarten vorhanden, weshalb eine weitere versehentliche Querbestäubung mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Die kleine selbstbestäubende B. liniflora (Bild 3) befindet sich seit Mitte der 1980er Jahre in unserer Sammlung. Die reichlich durch Selbstbestäubung produzierten Samen bleiben mehrere Jahre lang keimfähig, daher ist es problemlos die Art selbst über Jahrzehnte in Kultur zu behalten. Mit unseren Bedingungen erreichten die Pflanzen ein Alter von bis zu zwei Jahren, sie wachsen an den natürlichen Standorten jedoch nur saisonal bis zur nächsten Trockenzeit. Ohne die Spitze zu beschneiden, oder eine Verletzung am Spross, hat sich diese Art unter unseren Bedingungen während der letzten 25 Jahre nie verzweigt. Die Art bleibt relativ klein und wird auch voll ausgewachsen selten höher als 18-20 cm. Wir produzierten zwei Zeitraffervideos dieser Pflanzen, um deren Blattbewegungen durch Bildung von Pulvini (siehe unten) zu dokumentieren (Hartmeyer & Hartmeyer 2010). Der Amerikaner Brian Barnes (Barnes 2010) beschrieb die selbstbestäubende Form von B. liniflora als Byblis 'David'. Die Samen für diese Sorte bezog er von der Firma Rareexotics in Kanada.
Das Experiment
Über mehrere Jahre kultivierten wir in unserem
Gewächshaus auch eine recht groß werdende, normalerweise gar nicht bis wenig
verzweigte B. filifolia, aus der östlichen Kimberleyregion Australiens,
die nur durch Vibration Pollen freisetzt. Hält man die vibrierende Spitze einer
elektrischen Zahnbürste (ohne Bürstenaufsatz) nahe an die Blüte und darunter
ein Blatt Papier, kann man sehr einfach reichlich Pollen für die Bestäubung
gewinnen. Allerdings benötigt man zur erfolgreichen Samenbildung eine zweite,
genetisch unterschiedliche Pflanze, da B. filifolia selbststeril ist. Byblis 'Goliath' (Bild 4) ist eine robuste, sich bereits früh
stark verzweigender Sorte von B. filifolia, die ausgewachsen eher
horizontal kriechend, statt in die Höhe wächst, da ihre Verzweigungen in der
Länge addiert mehrere Meter lang sein können. Die sind insgesamt schlicht zu
schwer für einen aufrechten Wuchs. Im Frühjahr 2010 erhielten wir von Brian
Barnes Samenpäckchen mit der Bitte, zum Einen seine Sorte Goliath mit Pflanzen
zu vergleichen, die als B. guehoi (ex CPUK seed bank) angeschrieben
waren, und zum Anderen bei beiden die Blattbewegung durch Pulvinusbildung auf
Video zu dokumentieren, welche er erstmals im CPN beschrieben hatte (Barnes
2009). Ein Pulvinus (Plural = Pulvini) ist eine verdickte Struktur am
Blattansatz, welche im Inneren durch Änderung des Zelldrucks (Turgor) ein
Anheben oder Absenken des Blattes oder Blütenstängels bewirkt. Pulvini sind in
der Botanik schon lange von anderen Pflanzengattungen, wie zum Beispiel Bohnen
oder Mimosen bekannt, werden bei Byblis jedoch in keiner der zahlreichen
Publikationen vor 2009 erwähnt.
Im März 2010 säten wir die erhaltenen Samen
nach einer 24-stündigen Behandlung mit 0,1 %-iger Gibberelinsäure (wässrig plus
1% Ethanol) in unserem Gewächshaus aus. Beide Sorten keimten sehr schnell nach
nur 5-7 Tagen und begannen nach 6-7 Wochen zu blühen. Alle Pflanzen bildeten
fast von Beginn an Pulvini, mittels derer sie ihre Blätter und später auch die
Blütenstängel bewegten. Die abgesenkten Blätter bewirken bei Jungpflanzen eine
Art Stativeffekt, der gut sichtbar die Standfestigkeit der Pflanzen verbessert,
während der Effekt größere kriechend wachsende Pflanzen über dem Boden
stabilisiert. Nach der Befruchtung gebildete Samenkapseln werden durch Absenken
des Blütenstängels dadurch langsam nach unten bewegt. Im Unterschied zu den
Mimosen (z. B.: Mimosa pudica, Bild 6) die ihre Blätter nach Berührung
in Sekunden bewegen, dauert eine vollständige Absenkung der Blätter und
Blütenstängel bei Byblis mehrere Tage, danach erfolgt auch keine
Bewegung mehr nach oben.
Von beiden ausgesäten Samensorten wuchsen
jeweils etwa zehn Pflanzen, weshalb die Befruchtung der selbststerilen Blüten
mit Pollen, die mittels der elektrischen Zahnbürste von einer anderen Pflanze
gewonnen wurden, problemlos war. Allerdings produzierten lediglich die Byblis
'Goliath' während des ganzen Sommers gesunde
Samenkapseln, wohingegen alle Pflanzen mit der Bezeichnung B. guehoi (ex
CPUK seed bank) völlig steril waren, es bildete sich keine einzige Samenkapsel.
Das war der einzige, wenn auch interessante deutliche Unterschied den wir
feststellen konnten. Sogar eines der ansonsten leuchtend gelben Staubgefäße der
Blüten beider Pflanzen zeigte ein übereinstimmendes Merkmal: eine einzelne
feine braune, bürstenähnliche Struktur, die bei verschiedenen Byblisformen auch
auf mehreren Staubgefäßen vorhanden sein kann, oder auch gänzlich fehlt.
Unserer Ansicht nach sind beide verglichenen Pflanzen sehr nahe verwandt,
jedoch ist eine fruchtbar, die andere unfruchtbar.
Im Herbst 2010 bestäubten wir zwei Byblis
'Goliath' Blüten durch direktes Berühren mit Blüten von
Byblis 'David'. Darunter stand ein Topf mit Drosera
ultramafica. Leider verpassten wir das Öffnen der reifen Samenkapseln und
waren daher gleichermaßen erfreut und überrascht, als wir nach der Rückkehr von
einer USA-Reise im Mai 2011 gesunde Byblissämlinge in genau dem Droseratopf
entdeckten. Fünf von sieben Pflanzen entwickelten sich recht gleichförmig und
begannen sich zu verzweigen, während zwei Pflanzen unverzweigt weiter wuchsen.
Letztere haben wir bei unseren Messungen für Tabelle 1 nicht berücksichtigt, da
es sich dabei möglicherweise auch um durch Selbstbestäubung entstandene B.
liniflora hätte handeln können. Im Wuchs erschienen die fünf Hybriden (Bild 1 & 2) wie eine zierliche Form von Byblis 'Goliath', allerdings mit selbstbestäubenden Blüten wie bei Byblis 'David'. Mit unserem USB-Mikroskop, das Aufnahmen an lebenden Pflanzen erlaubt, konnten wir dann dokumentieren, dass die Selbstbestäubung nachmittags stattfindet. Fast jede Blüte dieser offensichtlichen F1-Hybriden (F1 steht hier für 1. Filialgeneration), produzierte automatisch eine gesunde Samenkapsel, die in etwa drei Wochen reifte und zahlreiche Samen enthielt, welche ohne jegliche Extrabehandlung (z. B.: mit GA3, etc.) innerhalb von 7-9 Tagen keimten. Diese F2-Generation (2. Filialgeneration) wuchs erst normal bis zu einer Größe von etwa 2,5 cm, dann stagnierte das Wachstum, was möglicherweise an einigen kühlen Nächten im Gewächshaus lag. Erleichtert stellten wir jedoch fest, dass sie nach dem Zuschalten einer 400 Watt HQI-Lampe das Wachstum fortsetzten und Ende Oktober 2011 zu blühen begannen. Bis zur Fertigstellung dieses Artikels konnten wir jedoch noch nicht feststellen, ob sich wiederum fruchtbare Samen bilden. Jedenfalls entsprechen die ersten zwei Blüten im Aussehen denen der F1-Generation.
Um uns zu versichern, dass die hier
beschriebene Hybridisierung reproduzierbar ist, wiederholten wir die
Querbestäubung im August 2011 mit der diesjährigen Generation der Pflanzen, den
direkten Nachkommen aus Samen der P1-Generation von 2010. Sechs Tage später
zeigte die erste bestäubte Blüte einen deutlich verdickte Fruchtknoten und nach
zehn Tagen war klar ersichtlich, dass sich eine Samenkapsel bildete. Nach 20
Tagen öffnete sich die Samenkapsel bei einem Durchmesser von etwa 5-6 mm und
heraus fielen vier gesund aussehende und drei etwas klein geratene Samen. Auch
eine zweite bestäubte Blüte zeigte anfangs einen geschwollenen Fruchtknoten,
allerdings verwelkte dieser nach zwei Wochen, wahrscheinlich weil der
Blütenstängel unterhalb der Blüte beim Bestäuben leicht angeknickt wurde. Es
bleibt hinzuzufügen, dass wir 2011 nur diese eine, mittlerweile etwa ein Jahr
alte Byblis 'Goliath' mit jetzt meterlangen Verzweigungen in
unserem Gewächshaus hatten, die abgesehen von den geschilderten
Kreuzungsversuchen aufgrund ihrer Selbststerilität das ganze Jahr lang keine
einzige Samenkapseln bildete.
Die gelungene Wiederholung des Experiments zeigt unserer Ansicht nach deutlich, dass in der Gattung Byblis tatsächlich Hybriden aus unterschiedlichen Arten erzeugt werden können. Bedenkt man, dass beide Elternarten bereits weltweit in Karnivorensammlungen und Gärtnereien vorhanden sind, dürfte zumindest die gezielte Querbestäubung der in diesem Artikel geschilderten Arten eine einfache Möglichkeit sein, die attraktive selbstbestäubende Hybride in nennenswerten Mengen in Kultur zu bringen. Im Aussehen liegt sie tatsächlich in der Mitte zwischen der großen stark verzweigten B. filifolia und der kleinen B. liniflora und viele Züchter werden durchaus darüber erfreut sein, dass sie obendrein selbstbestäubend und sehr fruchtbar ist. Die Tabelle zeigt vergleichende Messungen verschiedener Pflanzenteile mit durchschnittlichen Werten der fünf etwa gleichwertigen Hybriden. Tabelle 1: Vergleichende Messungen der Hybriden und der Elternpflanzen.
Diskussion
Brian Barnes berichtet bereits im März 2008
von einer gelungenen Hybridisierung bei Byblis. Er hatte seine Sorte Byblis
'Goliath' mit Byblis rorida gekreuzt und
keimfähige Samen erhalten. Auch seine Hybriden entsprachen im Aussehen etwa dem
Mittel der Elternpflanzen. Andere Autoren behaupten hingegen in der Natur noch
nie Hybriden gesehen zu haben (A. Lowrie, bei seinem Vortrag an der
ICPS-Konferenz in Leiden 2010). Eine Internetsuche nach Byblishybriden zeigt
den erwähnten Bericht von Brian Barnes, sowie ein misslungenes Experiment B.
gigantea mit B. filifolia zu kreuzen. Stewart McPherson schreibt
(McPherson 2010, Seite 972): „Keinerlei Naturhybriden konnten mit Sicherheit
nachgewiesen werden.“ Interessanterweise fanden wir nur wenige Tage vor
Redaktionsschluss des Taublatts, am 30. Oktober 2011 im ICPS-Forum einen neuen
Beitrag einer Cindy aus Singapur, die stolz berichtet, eine Hybride aus Byblis
'Goliath' und B. guehoi erzeugt zu haben. Von
einer möglichen Mutation ist dort keine Rede mehr. Aufgrund der dokumentierten Hybridisierung
sollte daher jeder Pflanzenkenner, der zukünftig im tropischen Australien
Gebiete erforscht in denen mehrere Arten sympatrisch sind, einen gezielten
Blick auf das Vorkommen natürlicher Hybriden werfen. Sollte es in der Natur
tatsächlich fruchtbare Hybriden geben, was nach unseren Ergebnissen äußerst
wahrscheinlich ist, würde das die Identifikation von Arten aufgrund der
möglichen Rückkreuzungen erheblich komplizieren. Die Situation wäre dann in
solchen Gebieten vergleichbar mit Vorkommen der Gattungen Nepenthes und Sarracenia,
bei denen zahlreiche Kreuzungen und Rückkreuzungen in der Natur sehr häufig
sind. Eine Verifizierung bzw. Revision der bisher beschriebenen Byblisarten
wäre dann wohl unumgänglich.
Danksagung
Wir danken Brian Barnes für das Zurverfügungstellen der Byblis
'Goliath' Samen (P-Generation) sowie die vertrauensvolle persönliche Kommunikation
über seine Beobachtungen der Pulvini in der Gattung, die unsere entsprechende
Videodokumentation 2010 erst ermöglichte und schlussendlich zur Entstehung des
in diesem Artikel dokumentierten Experiments führte. Unser Dank geht ebenfalls
an Dr. Jan Schlauer, für die kompetente wissenschaftliche Beratung bei der
Auswertung unseres Experiments. Literatur
Barnes, B. 2009. Byblis 'Goliath', in New Cultivars. Carnivorous Plant Newsletter
38: 16-18.
Barnes, B. 2010. Byblis 'David', in New Cultivars. Carnivorous Plant Newsletter 39:
43-44. Hartmeyer, S., und Hartmeyer, I. 2010. http://www.youtube.com/watch?v=cESW11j6SrM http://www.youtube.com/watch?v=BOpnFaxC-hE Hartmeyer, S., und Hartmeyer, I. 2011.
DVD/Blu-ray Sarracenia – Gefährdete Juwelen/Endangered Gems Fotos
Bild 1: Byblis cf. filifolia ´ liniflora getrocknete Pflanze, Gesamterscheinung mit Verzweigungen. Foto S.
Hartmeyer. Bild 2: Byblis cf. filifolia ´ liniflora Details. Foto S. Hartmeyer. Bild 3: Byblis
'David' Details. Foto S. Hartmeyer. Bild 4: Byblis
'Goliath' Details. Foto S. Hartmeyer. Bild 5: Byblis
cf. filifolia ´ liniflora adulte Pflanze mit reifenden Samenkapseln. Foto S.
Hartmeyer. Bild 6: Mimosa pudica Pulvinus. Foto S.
Hartmeyer. English Abstract
Seed derived
plants from the cultivars, Byblis filifolia 'Goliath' (Barnes 2009) and Byblis
liniflora 'David' (Barnes 2010) were cross pollinated. While the Byblis
'Goliath' needs buzz-pollination to release pollen, the hybrid between these
two taxa develops self-pollinating flowers, like its robust B. liniflora
parent. This paper is a study of these cross pollination events and its
results.
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