Drosera hartmeyerorum – Der Sonnentau mit
Lichtreflektoren
Hartmeyer, I. &
Hartmeyer, S. (2006) DAS TAUBLATT (GFP)
2006/3:4-9
Gewiss nah verwandt mit
Drosera indica, kann die australische Drosera
hartmeyerorum (2001 beschrieben von Dr. Jan Schlauer) jedoch mit dem
Indischen Sonnentau keine Hybriden bilden und entwickelt als einzige Art
der Gattung gut sichtbare Tentakel mit einer gelben Wabenstruktur als
Kopf. Über deren Sinn wurde bereits im Internet diskutiert, als uns Prof.
Dr. Stephen Williams (Lebanon Valley College – USA, bekannt durch seine
Untersuchungen zu Entwicklung und Verhalten von Drosera Tentakeln
und den verwandten Triggerhaaren von Aldrovanda und Dionaea)
auf der ICPS Konferenz 2002 in Tokio eine Kooperation anbot, nämlich die
„gelben Emergenzen" mit einem Raster Elektronen Mikroskop (REM) zu
untersuchen. Seine Mitarbeiterin Regina Kettering analysierte dann das von
uns geschickte Pflanzenmaterial (aus Samen vermehrt und mit Chemikalien
von uns präpariert), wodurch einige interessante Aufnahmen entstanden.
Sie zeigen, dass jede der konvex wabenförmigen Linsen aus einer einzelnen
Riesenzelle besteht. Allerdings können die mit Röntgenstrahlen erzielten
Fotos keine Transparenzen zeigen, da die Oberfläche des Präparates
vorher mit Metallatomen bedampft wurde. In Kombination mit einem
Lichtmikroskop wird die Struktur aber klar erkennbar. |
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Die ursprünglich massiven, dicht mit Leimdrüsen besetzten
Tentakelköpfe haben sich in eine differenzierte hohle Struktur
umgewandelt. Etwa 12 der transparenten Riesenzellen fokussieren nun das
einfallende Licht auf einen reflektierenden gelben Zellklumpen im inneren
Zentrum, wobei der gesamte Tentakelkopf hellgelb aufleuchtet. Die
Transparenz der Riesenzellen wird gut sichtbar, wenn die Blätter etwa 2
Tage getrocknet werden, wobei die Linsen kollabieren und die klaren
Zellwände gut vom gelben Zentrum zu unterscheiden sind. Die
kontrastreiche dunkelrote Farbe der Blätter unter den reflektierenden
Tentakeln hebt den Leuchteffekt der Struktur noch zusätzlich wirksam
hervor. Diese neuen Pflanzenorgane sehen also nicht nur aus wie
Konvexlinsen, sie funktionieren auch als solche. Das lässt sich einfach
überprüfen, indem man sie durch eine Lupe oder ein Makroobjektiv
betrachtet und von oben mit einer Lampe anleuchtet, die dabei mehrfach
ein- und ausgeschaltet wird. Dabei leuchten die Tentakelköpfe intensiv
gelb auf, fast wie Leuchtdioden. |
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Schon erste Diskussionen über den Sinn dieser neuen Pflanzenorgane
führten zu zwei möglichen Hypothesen. Die erste postuliert eine Form der
Mimikri, wie sie z.B. von einigen Passionsblumen (Passiflora)
bekannt ist. Kleine, gelb bis bräunlich gefärbte, runde Erhebungen auf
den Blättern simulieren die Eier parasitärer Schmetterlinge, deren
Weibchen bei der Eiablage Konkurrenz für ihre Brut vermeiden wollen und
sich daher eine andere, Gelege freie Pflanze zur eigenen Eiablage suchen.
Diese Strategie ist für die Passionsblumen sicher von Vorteil. Der
Sonnentau ist jedoch eine räuberische Pflanze und die Klebstoff
triefenden Tentakel der über 20 cm großen Pflanzen sind eine sehr
wirksame Waffe, selbst für größere Schmetterlinge. Es ist bekannt, dass
besonders die einjährigen Sonnentau (wie D. hartmeyerorum und D.
indica) raffinierte Fangstrategien entwickeln, um in ihrer einzigen
Wachstumsperiode so viel Beute wie möglich zu fangen. Wenn man dies
bedenkt, wäre ja ein Sonnentau wirklich schizophren, wenn er eine
zusätzliche Strategie entwickeln würde, um potentielle Beute
abzuschrecken. |
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Die zweite Hypothese postuliert ganz einfach eine effektivere Anlockung
von Beute durch den kontrastreichen optischen Effekt. Tatsächlich scheint
sich dies zu bestätigen, wenn man berücksichtigt, dass es nicht nur
fünf bis neun Linsententakel an der Basis jedes Fangblattes gibt, sondern
zusätzlich auch ein bis drei davon an der Basis jeder Braktee am
Blütenstand, der sehr auffällig senkrecht über die Pflanze wächst.
Aber wie funktioniert die Anlockung genau?
Dass die Riesenzellen nicht nur wie Linsen aussehen, sondern auch so
funktionieren, bemerkten wir beim Filmen unter einer 400 Watt
Metalldampflampe in unserem Gewächshaus. Das sehr helle, von den
Linsententakeln reflektierte Licht, muss für Insekten wie ein gelber
Scheinwerfer vor einem schwarzen Hintergrund erscheinen, denn die
dunkelrote Farbe der Blätter ist für Insekten nicht sichtbar, da ihr
Sehbereich ins Kurzwellige verschoben ist (sie sehen dafür einen für uns
unsichtbaren Bereich des UV-Lichts). Schaut man beim Filmen von der Spitze
des Blütenstandes den Stängel hinunter, erschließt sich auch der Sinn
der reflektierenden Tentakel auf den dunkelroten Brakteen. Sie bilden eine
regelrechte Lichterkette für fliegende und hüpfende Insekten,
vergleichbar (auch wenn es spektakulär klingt) den Landescheinwerfern
eines Flughafens.
Diese bis dahin noch nirgendwo beschriebene Erkenntnis spornte uns
natürlich an, das Phänomen noch gründlicher zu untersuchen. Dazu
schauten wir uns immer wieder das Videomaterial an, welches wir 1995 und
2001 vom Naturstandort der Pflanzen mitbrachten. Dabei fiel erst einmal
auf, dass am jeweils gleichen Standort (Boden meist fast reiner Quarzsand)
andere Sonnentau wie D. burmannii und D. ordensis
hauptsächlich Ameisen und Fliegen erbeuteten. Die großen pink blühenden
D. indica scheinen sich auf größere Fluginsekten wie
Schmetterlinge, Motten, Fliegen, usw. spezialisiert zu haben, aber D.
hartmeyerorum fängt neben einigen kleinen Bienen hauptsächlich eine
andere Beute: kleine Baby-Grasshüpfer. Die sitzen zahlreich meist im
oberen Bereich des etwa 30-40 cm hohen Grases. Genau in diesen Bereich
ragen die aufrechten Blütenstängel der dazwischen wachsenden Sonnentau.
An dieser Stelle muss ich noch eine zufällige Beobachtung in unserem
Gewächshaus erwähnen, welche uns die wahrscheinliche Fangstrategie
plötzlich vor Augen führte. Dort war ein mittelgroßes Exemplar unserer
einheimischen Kakerlaken auf dem Blütenstängel gelandet und kletterte
daran langsam nach unten, bis zur ersten Braktee, wo sie einen Moment
verharrte. Von da an ist der Stängel bis zum Spross - wo er entspringt -
über etwa sechs bis acht cm völlig kahl. Plötzlich sprang die Schabe
mitten in die Pflanze, und landete im Klebstoff vor den gelben
Linsententakeln an der Blattbasis. Zwar war das Insekt etwas zu groß um
gefangen zu werden und konnte sich wieder befreien, ein Baby-Grashüpfer
hätte jedoch keine Chance gehabt.
Offensichtlich war ich da durch Zufall Zeuge der Fangmethode geworden
und plötzlich passte alles zusammen. Die dunkelrote Farbe der
Fangblätter und Brakteen mit den darauf ideal platzierten, gelbes Licht
reflektierenden Tentakeln. Die aufrechte Stellung der Blütenstängel
über der Pflanze, die sich im Wind bewegen und dabei in der tropischen
Sonne ein intensives Schattenspiel auf den Fangblättern erzeugen, welches
die gelben Reflektoren immer wieder aufblitzen lässt, und schließlich
dieser auffällig kahle untere Teil des Blütenstängels, der Insekten
offensichtlich dazu animiert anstatt langsam zu klettern, einem fatalen
Sprung ins Leim strotzende Pflanzenzentrum zu machen.
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"Landescheinwerfer" am Blütenstand
von Drosera hartmeyerorum
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Nochmals schaute ich durch das Objektiv von oben den von einer
Metalldampflampe beleuchteten Blütenstängel hinunter und stellte mir
vor, was ein Grasshüpfer sehen würde. Tatsächlich bilden die hellgelben
Reflektoren auf den auffällig dunkelroten Brakteen (am grünen
Blütenstängel) eine deutliche Lichterkette, die von der Funktion her
wirklich verblüffend den Landescheinwerfern eines Flughafens ähnelt und
jäh an der untersten Braktee endet. Aber hier angekommen leuchten dem
Grashüpfer aufgrund der Verschiebung seines Sehspektrums, aus einem fast
schwarzen Pflanzenzentrum Dutzende von Lichtpunkten verführerisch
entgegen. Da der Blütenstängel bis dort hin aber ausgesprochen glatt
ist, wird er – wie schon erwähnt - nicht vorsichtig hinunter klettern,
sondern kurzerhand springen, um mitten im Leim des Sonnentau zu landen.
Diese Theorie wird durch die Tatsache gestützt, dass die
reflektierenden Tentakel erst gebildet werden, wenn die Pflanze etwa 4-5
cm hoch und damit groß genug ist, die am Ende der Regenzeit so häufigen
Baby-Grashüpfer auch zu fangen. Es scheint uns auch mehr als nur Zufall
zu sein, dass wir 1995 und 2001 bei Drosera hartmeyerorum an
verschiedenen Standorten überwiegend genau diese kleinen Grashüpfer als
Beute fanden. Da diese einjährigen Pflanzen sehr schnell wachsen müssen,
brauchen sie auf den kargen Quarzsandböden eine optimale Fangstrategie.
Tatsächlich dauert es nach dem ersten Erscheinen der „Reflektortentakel"
meist nur etwa zwei Wochen, bis der erste aufrecht wachsende Blütenstand
erscheint. |
Wer diese Art im tropischen Gewächshaus kultiviert, macht folgende
Erfahrungen: Die Samen sind winzig – sogar für die ganze Gattung –
wobei die Struktur ihrer Oberfläche an Bienenwaben erinnert. Nach der
Keimung sind die Sämlinge nur etwa einen Millimeter groß, aber aufgrund
ihrer bereits intensiv roten Färbung gut zu sehen. Jetzt gibt es ein
ernstes Problem, denn die Sämlinge wachsen nur, wenn sie Protein
erhalten. Wenn keine Springschwänze oder andere winzigen Insekten als
Nahrung zur Verfügung stehen, müssen die Pflänzchen gefüttert werden.
Wir verwenden dazu eine Lupenpinzette, mit der wir zerriebene
Fischfutterflocken geben. Das hat sich bewährt, denn ohne Proteine
verrotten die Pflanzen schell. Wiederholt man die Fütterung etwa alle 10
Tage, verdoppeln sie in dieser Zeit in etwa ihre Größe, sie wachsen dann
wirklich sehr schnell, wenn sie dazu tropische Temperaturen und sehr viel
Licht bekommen. In der Natur keimen die Pflanzen im Januar/Februar,
befinden sich aber bereits Mitte bis Ende April in voller Blüte. Die
Samen reifen in nur zwei bis drei Wochen heran. Während der Blütenstand
noch immer neue Blüten produziert, entstehen an den unteren, bereits
reifen Samenkapseln vier kleine Öffnungen, durch die der Wind die Samen
ausbläst und in der Umgebung verteilt. Diese ungewöhnlich schnelle
Entwicklung braucht sehr viel Energie, was gleichbedeutend ist mit Beute.
Fassen wir alle Details zusammen, sieht es deutlich danach aus, dass
dieser einjährige Sonnentau eine ausgeklügelte Fangstrategie entwickelt
hat, bei der Lichteffekte für das Anlocken der Beute eine wichtige Rolle
spielen. Ob dies wirklich eine spezielle Adaption an die zur Wachstumszeit
sehr häufig vorkommenden Baby-Grashüpfer ist, sollte noch vor Ort mit
statistisch relevanten Zählungen der Beutetiere auf zahlreichen Pflanzen
überprüft werden. Die im Internet noch immer diskutierte Theorie, dass
die reflektierenden Tentakel lediglich die Eier bestimmter Schmetterlinge
simulieren sollen, erscheint uns beim derzeitigen Stand der Beobachtungen
immer unwahrscheinlicher. Unabhängig vom Verlauf dieser noch anstehenden
Untersuchungen, machen es immerhin die in der Gattung einmaligen „Landescheinwerfer"
dieser Pflanze sehr einfach, sie zu identifizieren und eindeutig von Drosera
indica zu unterscheiden. Schlussendlich möchten wir uns noch bei
Stephen Williams, Regina Kettering und Barry Rice (alle USA) für ihre
Erlaubnis bedanken, ihre Bilder für unsere Artikel und Filme zu verwenden
und darauf hinweisen, dass die in diesem Bericht beschriebenen Phänomene
auf unserer DVD „Drosera – Schnelltentakel und
Landescheinwerfer" mit vielen Makroaufnahmen dokumentiert werden.
Copyright: REM-Aufnahmen Regina Kettering (USA), weitere Bilder I. und
S. Hartmeyer
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Unser Film
„Sophisticated Survival Strategies of the Annual Drosera“ (Raffinierte
Überlebensstrategien der einjährigen Drosera) der erstmals die Linsen-Tentakel von D. hartmeyerorum und die einmaligen Schnelltentakel von D. glanduligera im Film zeigt, wurde im August 2010 im
ChloroFilms Contest mit einem 2. Preis ausgezeichnet. Der
Film ist ein Auszug aus unserer Dokumentation “Drosera: Schnelltentakel und
Landescheinwerfer”, deren englische Version erstmals auf der ICPS Konferenz
2006 in Frostburg (USA) gezeigt wurde.
ChloroFilms ist ein von
Dr. Daniel Cosgrove an der Pennsylvania State University gegründetes
Nonprofit-Projekt, mit Starthilfe der Education Foundation of the American
Society of Plant Biologists (ASPB). Weitere Unterstützung kommt von der Botanical
Society of America, dem Penn State Institutes for Energy and the
Environment und der Canadian Botanical Association. Der
ChloroFilms Wettbewerb wird auch durch YouTube gefördert. Das Ziel von
ChloroFilms ist es, die Produktion informativer, kreativer und unterhaltsamer
Videos zu fördern, welche die Wertschätzung und das Verständnis für die
Pflanzenwelt erhöhen.
Zum Anschauen des Films auf das Foto der Tentakel klicken.
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Literatur:
Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., Observations on a New
Drosera
Species in the Ord River Region (Australia) (2001) Carnivores Plant
Newsletter (ICPS) 30/4:107 - 110
Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., Reiseziel Insektivoren (englischer
Titel: Beautiful and Hungry – Carnivorous Plants Part 2), Video/DVD
private Produktion 1995
Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., FLEISCHIMANIA (deutsch und
englisch), Video/DVD private Produktion 2001
Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., The International Carnivorous Plant
Conference Tokyo, Video/DVD private Produktion 2002
Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., Quer durch’s Karnivorenbeet
(englischer Titel: A Hunting Veggies Cocktail), DVD private Produktion
2004
Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., DROSERA: Schnelltentakel und
Landescheinwerfer (englischer Titel: DROSERA: Snap-Tentacles
and Runway Lights, DVD private Produktion 2006
Schlauer, J., Drosera hartmeyerorum
spec. nov. (Droseraceae),
a New Sundew in sect. Arachnopus from North Australia. (2001)
Carnivores Plant Newsletter (ICPS), 30/4: 104 - 106
Williams, S.E., Pickard, B.G., Connections and Barriers between Cells
of Drosera Tentacles in Relation to Their Electrophysiology, Planta
(Berl.) 116, 1-16 (1974)
Williams, S.E., Comparative Sensory Physiology of the Droseraceae - The
Evolution of a Plant Sensory System, Proceedings of the American
Philosophical Society, Vol. 120 No. 3, June 1976
Williams, S.E., Pickard, B.G., The Role of Action Potentials in the
Control of Capture Movements of Drosera and Dionaea, Plant
Growth Substances 1979, Springer Verlag Berlin-Heidelberg-New York
Williams, S.E., Albert, V.A., Chase, M.W., Relationships of
Droseraceae:
A Cladistic Analysis of RBCL Sequence and Morphological Data,
American Journal of Botany, 81(8): 1027-1037, 1994
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