Drosera hartmeyerorum – Der Sonnentau mit Lichtreflektoren Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S. (2006) DAS TAUBLATT (GFP) 2006/3:4-9
Die zweite Hypothese postuliert ganz einfach eine effektivere Anlockung von Beute durch den kontrastreichen optischen Effekt. Tatsächlich scheint sich dies zu bestätigen, wenn man berücksichtigt, dass es nicht nur fünf bis neun Linsententakel an der Basis jedes Fangblattes gibt, sondern zusätzlich auch ein bis drei davon an der Basis jeder Braktee am Blütenstand, der sehr auffällig senkrecht über die Pflanze wächst. Aber wie funktioniert die Anlockung genau? Dass die Riesenzellen nicht nur wie Linsen aussehen, sondern auch so funktionieren, bemerkten wir beim Filmen unter einer 400 Watt Metalldampflampe in unserem Gewächshaus. Das sehr helle, von den Linsententakeln reflektierte Licht, muss für Insekten wie ein gelber Scheinwerfer vor einem schwarzen Hintergrund erscheinen, denn die dunkelrote Farbe der Blätter ist für Insekten nicht sichtbar, da ihr Sehbereich ins Kurzwellige verschoben ist (sie sehen dafür einen für uns unsichtbaren Bereich des UV-Lichts). Schaut man beim Filmen von der Spitze des Blütenstandes den Stängel hinunter, erschließt sich auch der Sinn der reflektierenden Tentakel auf den dunkelroten Brakteen. Sie bilden eine regelrechte Lichterkette für fliegende und hüpfende Insekten, vergleichbar (auch wenn es spektakulär klingt) den Landescheinwerfern eines Flughafens. Diese bis dahin noch nirgendwo beschriebene Erkenntnis spornte uns natürlich an, das Phänomen noch gründlicher zu untersuchen. Dazu schauten wir uns immer wieder das Videomaterial an, welches wir 1995 und 2001 vom Naturstandort der Pflanzen mitbrachten. Dabei fiel erst einmal auf, dass am jeweils gleichen Standort (Boden meist fast reiner Quarzsand) andere Sonnentau wie D. burmannii und D. ordensis hauptsächlich Ameisen und Fliegen erbeuteten. Die großen pink blühenden D. indica scheinen sich auf größere Fluginsekten wie Schmetterlinge, Motten, Fliegen, usw. spezialisiert zu haben, aber D. hartmeyerorum fängt neben einigen kleinen Bienen hauptsächlich eine andere Beute: kleine Baby-Grasshüpfer. Die sitzen zahlreich meist im oberen Bereich des etwa 30-40 cm hohen Grases. Genau in diesen Bereich ragen die aufrechten Blütenstängel der dazwischen wachsenden Sonnentau. An dieser Stelle muss ich noch eine zufällige Beobachtung in unserem Gewächshaus erwähnen, welche uns die wahrscheinliche Fangstrategie plötzlich vor Augen führte. Dort war ein mittelgroßes Exemplar unserer einheimischen Kakerlaken auf dem Blütenstängel gelandet und kletterte daran langsam nach unten, bis zur ersten Braktee, wo sie einen Moment verharrte. Von da an ist der Stängel bis zum Spross - wo er entspringt - über etwa sechs bis acht cm völlig kahl. Plötzlich sprang die Schabe mitten in die Pflanze, und landete im Klebstoff vor den gelben Linsententakeln an der Blattbasis. Zwar war das Insekt etwas zu groß um gefangen zu werden und konnte sich wieder befreien, ein Baby-Grashüpfer hätte jedoch keine Chance gehabt. Offensichtlich war ich da durch Zufall Zeuge der Fangmethode geworden und plötzlich passte alles zusammen. Die dunkelrote Farbe der Fangblätter und Brakteen mit den darauf ideal platzierten, gelbes Licht reflektierenden Tentakeln. Die aufrechte Stellung der Blütenstängel über der Pflanze, die sich im Wind bewegen und dabei in der tropischen Sonne ein intensives Schattenspiel auf den Fangblättern erzeugen, welches die gelben Reflektoren immer wieder aufblitzen lässt, und schließlich dieser auffällig kahle untere Teil des Blütenstängels, der Insekten offensichtlich dazu animiert anstatt langsam zu klettern, einem fatalen Sprung ins Leim strotzende Pflanzenzentrum zu machen.
Wer diese Art im tropischen Gewächshaus kultiviert, macht folgende Erfahrungen: Die Samen sind winzig – sogar für die ganze Gattung – wobei die Struktur ihrer Oberfläche an Bienenwaben erinnert. Nach der Keimung sind die Sämlinge nur etwa einen Millimeter groß, aber aufgrund ihrer bereits intensiv roten Färbung gut zu sehen. Jetzt gibt es ein ernstes Problem, denn die Sämlinge wachsen nur, wenn sie Protein erhalten. Wenn keine Springschwänze oder andere winzigen Insekten als Nahrung zur Verfügung stehen, müssen die Pflänzchen gefüttert werden. Wir verwenden dazu eine Lupenpinzette, mit der wir zerriebene Fischfutterflocken geben. Das hat sich bewährt, denn ohne Proteine verrotten die Pflanzen schell. Wiederholt man die Fütterung etwa alle 10 Tage, verdoppeln sie in dieser Zeit in etwa ihre Größe, sie wachsen dann wirklich sehr schnell, wenn sie dazu tropische Temperaturen und sehr viel Licht bekommen. In der Natur keimen die Pflanzen im Januar/Februar, befinden sich aber bereits Mitte bis Ende April in voller Blüte. Die Samen reifen in nur zwei bis drei Wochen heran. Während der Blütenstand noch immer neue Blüten produziert, entstehen an den unteren, bereits reifen Samenkapseln vier kleine Öffnungen, durch die der Wind die Samen ausbläst und in der Umgebung verteilt. Diese ungewöhnlich schnelle Entwicklung braucht sehr viel Energie, was gleichbedeutend ist mit Beute. Fassen wir alle Details zusammen, sieht es deutlich danach aus, dass dieser einjährige Sonnentau eine ausgeklügelte Fangstrategie entwickelt hat, bei der Lichteffekte für das Anlocken der Beute eine wichtige Rolle spielen. Ob dies wirklich eine spezielle Adaption an die zur Wachstumszeit sehr häufig vorkommenden Baby-Grashüpfer ist, sollte noch vor Ort mit statistisch relevanten Zählungen der Beutetiere auf zahlreichen Pflanzen überprüft werden. Die im Internet noch immer diskutierte Theorie, dass die reflektierenden Tentakel lediglich die Eier bestimmter Schmetterlinge simulieren sollen, erscheint uns beim derzeitigen Stand der Beobachtungen immer unwahrscheinlicher. Unabhängig vom Verlauf dieser noch anstehenden Untersuchungen, machen es immerhin die in der Gattung einmaligen „Landescheinwerfer" dieser Pflanze sehr einfach, sie zu identifizieren und eindeutig von Drosera indica zu unterscheiden. Schlussendlich möchten wir uns noch bei Stephen Williams, Regina Kettering und Barry Rice (alle USA) für ihre Erlaubnis bedanken, ihre Bilder für unsere Artikel und Filme zu verwenden und darauf hinweisen, dass die in diesem Bericht beschriebenen Phänomene auf unserer DVD „Drosera – Schnelltentakel und Landescheinwerfer" mit vielen Makroaufnahmen dokumentiert werden. Copyright: REM-Aufnahmen Regina Kettering (USA), weitere Bilder I. und S. Hartmeyer
Literatur: Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., Observations on a New Drosera Species in the Ord River Region (Australia) (2001) Carnivores Plant Newsletter (ICPS) 30/4:107 - 110 Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., Reiseziel Insektivoren (englischer Titel: Beautiful and Hungry – Carnivorous Plants Part 2), Video/DVD private Produktion 1995 Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., FLEISCHIMANIA (deutsch und englisch), Video/DVD private Produktion 2001 Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., The International Carnivorous Plant Conference Tokyo, Video/DVD private Produktion 2002 Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., Quer durch’s Karnivorenbeet (englischer Titel: A Hunting Veggies Cocktail), DVD private Produktion 2004 Hartmeyer, I. & Hartmeyer, S., DROSERA: Schnelltentakel und Landescheinwerfer (englischer Titel: DROSERA: Snap-Tentacles and Runway Lights, DVD private Produktion 2006 Schlauer, J., Drosera hartmeyerorum spec. nov. (Droseraceae), a New Sundew in sect. Arachnopus from North Australia. (2001) Carnivores Plant Newsletter (ICPS), 30/4: 104 - 106 Williams, S.E., Pickard, B.G., Connections and Barriers between Cells of Drosera Tentacles in Relation to Their Electrophysiology, Planta (Berl.) 116, 1-16 (1974) Williams, S.E., Comparative Sensory Physiology of the Droseraceae - The Evolution of a Plant Sensory System, Proceedings of the American Philosophical Society, Vol. 120 No. 3, June 1976 Williams, S.E., Pickard, B.G., The Role of Action Potentials in the Control of Capture Movements of Drosera and Dionaea, Plant Growth Substances 1979, Springer Verlag Berlin-Heidelberg-New York Williams, S.E., Albert, V.A., Chase, M.W., Relationships of
Droseraceae:
A Cladistic Analysis of RBCL Sequence and Morphological Data,
American Journal of Botany, 81(8): 1027-1037, 1994 |