Von Benneckenstein in die Welt der Fleischfresser
Die Welt der Fleischfressenden Pflanzen ist die Welt von
Siegfried und Irmgard Hartmeyer.
Bis in die entlegensten Regionen
reisten die beiden mit ihrer Kameraausrüstung zumeist auf den
Spuren jener Pflanzengattungen,
die von der Evolution mit einem
speziellen Appetit auf tierisches
Eiweiß ausgestattet wurden.
Aus einer flüchtigen Bekanntschaft vor fast 45 Jahren mit einem
Rundblättrigen Sonnentau und
einer Venusfliegenfalle ist eine lebenslange Leidenschaft geworden. Heute sind die Hartmeyers weltweit
vernetzte Karnivorenspezialisten
und experimentieren nicht nur im
eigenen Gewächshaus mit Mikroskop, Pinzette und Kameras. Aufgrund
ihrer privaten Filme und Forschungsergebnisse wurden sie u. a.
zu Videovorträgen vor prominenten
Wissenschaftlern nach Japan und
in die USA eingeladen. Zudem gab
es gemeinsame Forschungsprojekte
und wissenschaftliche Publikationen etwa mit den Bionikern der
Universität Freiburg, wo nach Untersuchungen mit
Hochgeschwindigkeitskamera und Elektronenmikroskop sogar ein neuer
Fallentyp
beschrieben werden konnte: Die
blitzschnelle Katapult-Leimfalle
widerlegte die Mär einer beim
Beutefang eher langsamen Gattung
Drosera.
Nicht genug, ein von ihnen
in Australien entdeckter Sonnentau
trägt sogar ihren Namen: Drosera
hartmeyerorum Schlauer. Den NWZ-Stammlesern dürften die in Weil am Rhein lebenden
Karnivorenspezialisten aufgrund
mehrfacher Berichterstattungen
keine Unbekannten mehr sein. Allen anderen Lesern aber soll dem
heutigen Interview eine kurze Personalie vorangestellt sein.
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Siegfried Hartmeyer ist 1953
in Hasselfelde geboren, weil die
geplante Hausgeburt im Benneckensteiner Unterbruch 1 kurzfristig
ins dortige Krankenhaus verlegt
werden musste – die Hebamme
war über Nacht in den Westen geflüchtet. Die ersten Kindheitsjahre
verlebte er in Benneckenstein, bevor seine Eltern die widerrechtliche
Enteignung des Hartmeyerschen
Familienunternehmens zum Anlass
nahmen, die Heimat notgedrungen
in Richtung Westdeutschland zu
verlassen. Beruflich lief es gut für
ihn als Laborgruppenleiter und
Werksfeuerwehrmann der Gasmessgruppe in der Analytik eines
Schweizer Chemiekonzerns.
Trotz aller räumlichen Ferne
blieb Siegfried Hartmeyer mit
dem Harz stets verbunden. Von
Mitte der 1960er Jahre bis heute
führten verwandtschaftliche Bande zu vielen Besuchen der alten
Heimat und letztlich in den Kreis
des Kultur- und Heimatvereins
Benneckenstein. Auch die Mitarbeit am biografischen Buch seiner
Mutter Christa Hartmeyer „Gezeitenwechsel im Hochharz“ lieferte
gute Gründe. Heute wollen wir
ihn fragen, was ihm in seinem Gewächshaus im Laufe der Jahre an
Besonderheiten begegnet ist.
Foto: Christa Hartmeyer mit ihrem Buch "Gezeitenwechsel im Hochharz" (Foto ergänzt). |
Herr Hartmeyer, was fasziniert Sie
eigentlich so sehr an den Fleischfressenden Pflanzen, die von Ihnen
auch gern
als „Fleischis“ bezeichnet
werden? Und: Haben Sie unter den nahezu 1000 bekannten Arten Favoriten? |
Besonders faszinierend sind für
mich die hocheffektiven Tierfallen
der Fleischfressenden Pflanzen, die
nicht nur Botanikern den Eindruck
genialer evolutiver Ingenieursarbeit
vermitteln. Was die Biomechaniker,
oder kurz Bioniker, beispielsweise
an der Universität Freiburg mit
modernsten Analysegeräten über
zuklappende, katapultierende
oder auch saugende Karnivorenfallen herausfanden, verwandeln
findige Ingenieure heute bereits in
fortschrittliche und umweltschonende praktische Anwendungen.
So halfen etwa Untersuchungen des
Klappmechanismus der Venusfliegenfalle Dionaea muscipula bei der
Entwicklung autark öffnender und
schließender Sonnenschutzlamellen
für die Beschattung von Gebäuden
und Stadien. Ganz ohne Scharniere, Strom und Motoren werden sie
wie die berühmten Klappfallen lediglich durch die gezielte Nutzung
von Spannungsänderungen im
Material bewegt. Sieht man solche
Erfolge der Bionik in der Praxis,
erschließt sich einem erst richtig,
welch faszinierende Mechanismen
die Evolution mit den Karnivorenfallen hervorgebracht hat.
Zu meinen Favoriten unter
den Karnivoren zählen sicher die
vielen Menschen noch gar nicht
bekannten schnellen Katapultfallen der Sonnentau. Besonders
die Untersuchung der größten,
Drosera glanduligera, an der wir
maßgeblich mitwirkten, hat uns
viel Kopfzerbrechen bereitet. Das
Gewächs galt noch Anfang der
2000er als nicht kultivierbar, und
wir benötigten fast drei Jahre, bis
wir in der Lage waren, reproduzierbar gesunde, ausgewachsene
Pflanzen für unsere Versuche zu
ziehen. Die wirklich sensationellen
Ergebnisse, dass die Katapulte dieses Sonnentaus sich mindestens so
schnell bewegen wie die Venusfliegenfalle zuklappt, publizierten wir
u. a. 2010 in den USA.
Den Artikel
lasen die Bioniker der Uni Freiburg,
und wohl auch, weil wir die Einzigen waren, die gesunde Versuchspflanzen zur Verfügung stellen
konnten, lud uns der heutige Groupleader
in der Plant Biomechanics Group, Dr.
Simon Poppinga, zu einem gemeinsamen Forschungsprojekt ein. Um
in den streng gesicherten Laboren
mitexperimentieren zu dürfen,
mußten Irmgard und ich zuerst
16 (!) Geheimhaltungserklärungen
unterschreiben. Das Resultat der
folgenden, sehr freundschaftlichen
Kooperation war 2012 die Publikation eines neuen Fallentyps, einer
kombinierten Katapult-Leimfalle.
Sie schleudert im Versuch vorbeilaufende Fruchtfliegen mit ausgestreckt auf dem Boden aufliegenden
Katapulten (Schnelltentakel) in sensationellen 75 Tausendstelsekunden
(ms) auf ihre vor Leim starrenden
Blätter. Dionaea braucht für das
Zuklappen 100 ms. Durch den
Aufprall wird in den Leimtentakeln der Blattoberfläche eine Art
Laufbandmechanismus gestartet,
der die Beute in ein bis zwei Minuten in einer Verdauungsmulde
versenkt, einer Art Magensack im
Blattzentrum.
Sogar der bekannte Wissenschaftsjournalist Volker Arzt fragte
per E-Mail an, ob er die in unserem
Wohnzimmer entstandenen Aufnahmen der fliegenschleudernden
Raubpflanze in der Sendung „Planet Wissen“ erstmals im Fernsehen
zeigen dürfte. Wir sagten natürlich
gern zu. Der Beitrag wurde 2015
gesendet und war bis Ende 2020 online.
Foto: Die australische Katapult-Leimfalle Drosera glanduligera schleudert vorbeilaufende
Tiere in nur 75 Tausendstelsekunden (ms) in ihre Leimtentakel
Im Guinness Buch der
Rekorde 2021 gilt sie jetzt als „schnellste räuberische Landpflanze“.
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Ab wann wurden die Karnivoren
eigentlich wissenschaftlich beschrieben? |
Wissenschaftlich beschrieben
wurden Karnivoren erstmals im
18. Jahrhundert, nicht selten vom
berühmten Carl von Linné, dem
Erfinder der binären Nomenklatur,
mit deren Hilfe die Wissenschaft
alle Lebewesen mittels eines Gattungs- und Artnamens benennen
kann. Der lehnte allerdings bereits
damals geäußerte Vermutungen
generell ab, dass diese Pflanzen
karnivor seien, also gezielt Tiere
fressen würden. Er befürchtete
wohl ähnliches Ungemach durch
solche Behauptungen von Seiten
der Religion, wie es 100 Jahre
später Charles Darwin zu spüren bekam, bereits zum zweiten
Mal und nicht weniger heftig als
wegen seiner 16 Jahre zuvor veröffentlichten Evolutionstheorie.
Nach seinen berühmten Experimenten mit Sonnentau und Co.
veröffentlichte Darwin 1875 das
erste wissenschaftliche Buch „Insectivorous Plants“, in dem er, wie
der Titel besagt, eindeutig über insektenfressende Pflanzen schreibt.
Besonders evangelikale Fanatiker
sahen die „göttliche Ordnung“
gefährdet, wenn Pflanzen Tiere
fressen würden statt umgekehrt.
Heute ist wissenschaftlich unumstritten, daß Karnivoren gezielt
Insekten fangen und mit Enzymen verdauen, Darwin behielt
also Recht. Wir konnten in Versuchen sogar eindeutig nachweisen,
daß einige Sonnentau
schon als Sämlinge recht schnell
verhungern, wenn sie nicht genug
Nahrung fangen können.
Foto links: Drosera aberrans „Maldon“ wächst im Winter und übersteht den heißen Sommer Australiens eingezogen als Knolle,
ähnlich wie unsere Krokusse.
Foto rechts: Drosera capensis x aliciae ist eine hübsche Kreuzung aus zwei südafrikanischen Arten. In der Sammlung der Hartmeyers ist sie nach rund 38 Jahren
inzwischen der älteste Sonnentau.
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Wie kommt man denn mit so
einem Hobby beispielsweise zu einer Einladung nach Japan? |
Für die Antwort muss ich etwas weiter ausholen. Irmgard und
ich verbrachten seit 1990 auf drei
sorgfältig vorbereiteten Reisen
insgesamt über sieben Monate in
Australien, wo es tatsächlich die
meisten Fleischfressenden Pflanzen
gibt. Dabei galt für uns immer die
Devise „Mache nur Fotos, hinterlasse nur Fußstapfen“. Mit Kleinflugzeugen, Hubschraubern und
Geländewagen suchten und filmten
wir teils in Begleitung Ortskundiger, meistens aber „allein zu zweit“
gezielt Karnivoren und ein mit
ihnen verknüpftes Phänomen:
Symbiosen zwischen Fleischfressenden Pflanzen und Raubwanzen
(Cyrtopeltis & Bybliphilus), die völlig
unbeschadet und zum gegenseitigen Nutzen inmitten der für andere
Tiere tödlichen Leimfallen leben.
In „Down Under“ waren solche
Symbiosen/Mutualismen bis zu
unserer Publikation in einem australischen Journal 1996 nur aus einer recht begrenzten Region rund
3000 km südlich um die Stadt Perth
bekannt.
Zu unseren privaten Investitionen in abenteuerliche Exkursionen
und immer bessere Filmausrüstungen gesellte sich schließlich noch
eine ordentliche Portion Glück. Es
gelang Irmgard und mir tatsächlich, mehrere unbeschriebene Symbiosen im Norden Australiens zu
filmen. Als Tüpfelchen auf dem
„I“ fanden wir 1995 einen noch unbeschriebenen Sonnentau, dessen
umgewandelte „Tentakel“ (Emergenzen) gelbes Licht reflektieren.
Das war neu in der Gattung. 2001,
nachdem diese Pflanze plötzlich
in Deutschland auftauchte, zeigten wir sie dem Biochemiker und
Systematiker Dr. Jan Schlauer, der
regelrecht elektrisiert von unserem
Fund war und sich umgehend an
die wissenschaftliche Beschreibung
der neuen Art machte.
Die reflektierenden Emergenzen „unseres“ Sonnentaus und
die neu gefundenen Symbiosen
erregten in Fachkreisen weltweit
Aufsehen. Dennoch staunte ich
nicht schlecht, als plötzlich der
Brief eines Prof. Kondo von der
Universität Hiroshima eintraf
mit den Worten: „Ich möchte Sie
herzlich einladen, im Rahmen der
Internationalen Karnivorenkonferenz 2002 im Naturhistorischen
Museum in Tokio einen Filmvortrag über Ihre Entdeckungen in
Australien zu zeigen. Zudem würde
es mich freuen, wenn Sie ein offizielles Video über die Konferenz
herstellen könnten.“
Das war für uns so eine große
Ehre, dass wir selbstverständlich
umgehend die Flüge buchten. Die
Konferenz in englischer Sprache
wurde ein großer Erfolg, der uns
viele neue weltweite Kontakte,
Freundschaften und Folgeeinladungen brachte.
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Haben Sie im Gewächshaus auch
schon skurrile Überraschungen erlebt? |
Oh ja, da fallen mir unsere
mäusefressenden Kannenpflanzen (Nepenthes) ein. In Borneo
wurden schon kleine Wirbeltiere
in großen Kannen gefunden, aber
in unserem Gewächshaus war das
doch überraschend. Insgesamt fünf
Mäuse wurden in wenigen Jahren
von zwei großen Pflanzen gefangen, das war also kein einmaliger
Zufall. Wir würden niemals Wirbeltiere an Pflanzen verfüttern!
Die Mäuse kamen unerwünscht
herein, und wir bemerkten das
immer erst am typischen Gestank
in der Nähe der Falle, wenn die
Verdauung bereits begonnen hatte.
Tatsächlich funktionieren die
Kannen wie ein richtiger Magen
mit Verdauungsenzymen. Für uns
natürlich eine ideale Gelegenheit,
um zu untersuchen, wie die Pflanze
das macht und was von so großer
Beute übrig bleibt.
Dabei hat sich wohl Folgendes
abgespielt: Angelockt von den zuckerhaltigen Ausscheidungen, die
besonders von den Nektardrüsen
an der Unterseite des Kannendeckels produziert werden, klettert
die Maus die rauhe Außenseite
der Kanne problemlos empor auf
den stabilen „Kragen“, das Peristom, der die Öffnung umgibt.
Dort muß sie sich auf zwei Beine
aufrichten und leicht nach vorne
beugen, um die süßen Tropfen
unter dem Deckel über ihr abschlecken zu können. Dabei reicht
eine unvorsichtige Bewegung um
abzurutschen, den Rest erledigt
die Schwerkraft. Das Opfer fällt
in die Verdauungsflüssigkeit und
ertrinkt ohne jede Chance, die sehr
glatten Innenwände der Kanne
wieder hochzuklettern. Da alle
Kannen nach dem Fang innen
völlig unbeschädigt blieben, war
es ein Beweis, daß es selbst für die
Nagetiere keine Möglichkeit gab,
sich durch die Wandung zu beißen.
Die Verdauung einer ausgewachsenen Maus dauert etwa sechs
Wochen. Beim anschließenden
Aufschneiden der Falle waren die
Überreste völlig platt und schienen
fast in die Wand eingewachsen zu
sein. Da brauchte es selbst mit dem
Skalpell eine Weile, um die Reste
abzulösen, so robust ist der untere Kannenteil. Übrig waren
die
Fellhaare, Nagezähne sowie kleine
Reste der massivsten Knochen. Den
Rest des Körpers hatte die Pflanze
mit Enzymen aufgelöst und absorbiert. Letzteres konnte man
daran
erkennen, dass die folgenden Kannen der Pflanze noch
größer und
kräftiger wuchsen. So makaber
die Bilder dazu auch sein mögen,
unser sicher etwas skurriler Artikel
mit den Fotos fand großes Interesse.
Übersetzungen erschienen in mehreren Ländern, sogar eine
große indonesische Gartenzeitschrift „Trubus“
druckte dazu einen Bericht.
Foto oben: Als wäre das Mäulchen auch im Tode noch vor Schrecken aufgerissen.
Das
Foto dieser in die Falle einer philippinischen Nepenthes truncata geratenen
Maus ging um die Welt.
Foto rechts: Die Kannenpflanze mit zwei Zähnen
Nepenthes bicalcarata aus Borneo
lebt in einer Symbiose mit Ameisen
(Camponotus schmitzii), die in der
Kannenflüssigkeit tauchend nach
Beute jagen. Glatte Kannenwände
machen ihnen nichts aus.
Foto links: Die spitzen Zähnchen dieser Nepenthes hamata aus Sulawesi hindern in die
Kanne gefallene Tiere effektiv am Entkommen.
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Weniger skurril, sogar als
gefährlich entpuppten sich im
Gewächshaus Fänge der erst seit
einigen Jahren zugewanderten tropischen Tigermücke Aedes aegypti,
die wir im Leim unserer Sonnentau
entdeckten. Sie übertragen gefährliche Krankheiten wie Zika, Chikungunya und das Dengue-Fieber.
Das Weiler Ordnungsamt hatte die
Bürger gebeten, Funde der Mücken
zu melden.
Sie schickten umgehend
einen Biologen zu uns, der bestätigte, dass es sich tatsächlich um die
tropischen Blutsauger handelt. Er gab mir Culinex-Tabletten, mit dem
nur für Mückenlarven tödlichen
Wirkstoff des Bazillus thuringiensis israelensis, mit dem in jedem
Frühjahr auch die Altrheinarme
des Oberrheins behandelt werden.
Noch vor 100 Jahren war unsere Region aufgrund des milden Klimas
ein Malariagebiet, und auch die
übertragenden Anophelesmücken
sind immer noch vorhanden. Eine
Brühe aus den Tabletten wird dann
in die Wasserschalen gegeben, in denen unsere Karnivoren stehen, die
leider gleichzeitig ideale Brutstätten
für die invasiven Tigermücken sind.
Unterstützt wird die Bekämpfung
von unseren zahlreichen Sonnentauarten im Gewächshaus, für die
natürlich alle Mücken eine ideale
Beute sind.
Foto: Auf der Jagd nach gefährlichen Tigermücken Aedes aegyptii waren im Gewächshaus auch diese Drosera serpens
(links) und Drosera paradoxa (beide Australien) erfolgreich. Das half auch, die Mücken eindeutig zu identifizieren. |
Sind Sie auch aktuell noch mit
wissenschaftlichen Projekten über
Fleischfressende Pflanzen beschäftigt? |
Dieses Hobby wurde und wird
nie langweilig. Seit 2016 kultivieren
wir bestimmte Sonnentauarten, um
sie in Zusammenarbeit mit Dr. Jan
Schlauer auf ihre chemischen Inhaltsstoffe zu untersuchen. Die sogenannte Chemotaxonomie ist recht
hilfreich sowohl für die Systematik
als auch bei Fragen zur Evolution
der Gattung. Bis 2019 ergab das
mehrere wissenschaftliche Publikationen. Alle diese Artikel sind
auf unserer Homepage zu finden.
Erst voriges Jahr konnten wir
gemeinsam mit Prof. Stephen Williams (USA) einen Artikel über
Experimente mit Ameisen in unserem Garten publizieren, die zufällig direkt neben einer Gruppe
von Venusfliegenfallen einen Bau
angelegt hatten und wirklich permanent durch die Fallen liefen, ohne
diese auszulösen. Ein toller Zufall.
Es gelang uns dadurch, statistisch
untermauert nachzuweisen, dass die großen Klappfallen kleine, als
Beute unrentable Ameisen durch die
Kombination mehrerer raffinierter
Eigenschaften gezielt entkommen
lassen, um Energie zu sparen. Dazu
gibt es bei uns natürlich immer auch
Filme, die auf unserem YouTubeKanal zu sehen sind. Inzwischen
beweisen mehr als 1,6 Millionen
Aufrufe, dass die auch Interesse
finden.
Aber noch etwas zu Ihrer Frage: Erfreulicherweise – Sie werden
es geahnt haben – laufen sogar
während dieses Interviews einige
Laborgeräte, die unsere 2020 gezogenen Pflanzenproben analysieren.
Die hatten wir nach der Aussaat
im April zum Anfang Oktober im
Gewächshaus „geerntet“ und per
Expreß an ein Labor in Helsinki
verschickt. Es sieht bisher recht
gut aus; eine neue Veröffentlichung
wird spätestens 2021, je nach Dauer
der Peer-Reviews (Überprüfungen
durch Fachkollegen), in einer Fachzeitschrift erscheinen.
Völlig überraschend kam gerade noch ein E-Mail von Dr. Poppinga von der Uni Freiburg mit einer
großartigen Nachricht: Die bereits
erwähnte Katapult-Leimfalle wurde
jetzt aufgrund unserer gemeinsamen
Labormessungen mit 75 Tausendstelsekunden für einen Fangvorgang
als „schnellste räuberische Landpflanze der Welt“ in das Guinness
Buch der Rekorde aufgenommen
(Foto hinzugefügt). |
Vor sechs Jahren haben Sie einen
Harzurlaub mit einigen Exkursionen
durch unsere Brockenmoore verbunden.
In Begleitung von Brockengärtner Dr. Gunter Karste konnten Sie die
dortigen Sonnentauvorkommen untersuchen.
Ihre Resultate haben Sie
damals in einem sehr interessanten
und nicht minder unterhaltsamen
Video präsentiert.
Besteht vielleicht
die Absicht, solch eine Aktion noch
einmal zu wiederholen? |
Die Exkursionen mit Dr. Gunter Karste auf dem Brocken und in
seinem Umfeld habe ich in sehr guter Erinnerung. Tatsächlich sahen
wir bei der Gelegenheit erstmals
Fettkraut (Pinguicula), Sonnentau
sowie einige Orchideen (Dactylorhiza species) an Naturstandorten
in meiner alten Heimat. Das war
ein tolles Erlebnis, auch weil die
Faszination für Fleischfressende
Pflanzen bei mir tatsächlich durch
den auch im Harz vorkommenden
Rundblättrigen Sonnentau D. rotundifolia ausgelöst worden war.
Ich freue mich immer noch wie
Bolle, wenn mir diese Pflanze in
der Natur vor die Kamera kommt.
Zudem gibt es da durchaus auch
ein wissenschaftliches Interesse.
Als einzige unserer einheimischen
Sonnentauarten bildet D. rotundifolia zu verschiedenen Zeiten am
Blattrand entweder Leimtentakel
oder völlig trockene Schnelltentakel, ähnlich denen der australischen Katapultfallen, wenn auch
nicht ganz so schnell beweglich.
Warum es hier diesen Dimorphismus gibt und wodurch die Bildung
der unterschiedlichen Tentakel bei
dieser Art ausgelöst wird, konnte
ich bisher noch nicht aufklären. Ich
hoffe aber, das wird noch. Unseren Film „Fleischfresser auf dem
Blocksberg“, der auch auf unsere
Familiengeschichte in Benneckenstein eingeht, kann man inzwischen
übrigens gratis auf unserem YouTube-Kanal anschauen.
Weitere Exkursionen im Brockengebiet haben wir seither schon einige Male angedacht. Derzeit
können wir aber meiner 89jährigen
Mutter, die uns natürlich immer
nach Benneckenstein begleitete,
die Reise aus gesundheitlichen
Gründen nicht zumuten und wollen
sie auch in Coronazeiten nicht für
längere Zeit allein lassen. Ich bin
jedoch sicher, daß wir auch in der
Zukunft wieder im Harz auf Tour
gehen werden und darauf freuen
wir uns!
Foto: Siggi und Irmgard Hartmeyer in ihrem stattlichen
Gewächshaus voller hungriger Pflanzenmägen.
Für das Interview bedankt
sich Jürgen Kohlrausch.
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