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CPN cover 46/1 2017Jürgen Kohlrausch Portrait 2014Von Benneckenstein in die Welt der Fleischfresser

Ein Interview des Journalisten und Archivars Jürgen Kohlrausch
(Foto rechts) mit Siggi Hartmeyer für die Neue Wernigeröder Zeitung.
31. Jahrgang Nr. 23-25, Dezember 2020 (Cover links).
Verlag Jüttners Buchhandlung.


Anmerkung zum Layout: Diese HTML-Internetversion wurde mit zahlreichen aktiven Links sowie zwei Fotos ergänzt. Die ursprünglich verwendete alte Rechtschreibung der NWZ wurde der üblichen Schreibweise auf unserer Homepage angepasst.


Die Welt der Fleischfressenden Pflanzen ist die Welt von Siegfried und Irmgard Hartmeyer. Bis in die entlegensten Regionen reisten die beiden mit ihrer Kameraausrüstung zumeist auf den Spuren jener Pflanzengattungen, die von der Evolution mit einem speziellen Appetit auf tierisches Eiweiß ausgestattet wurden.

Aus einer flüchtigen Bekanntschaft vor fast 45 Jahren mit einem Rundblättrigen Sonnentau und einer Venusfliegenfalle ist eine lebenslange Leidenschaft geworden. Heute sind die Hartmeyers weltweit vernetzte Karnivorenspezialisten und experimentieren nicht nur im eigenen Gewächshaus mit Mikroskop, Pinzette und Kameras. Aufgrund ihrer privaten Filme und Forschungsergebnisse wurden sie u. a. zu Videovorträgen vor prominenten Wissenschaftlern nach Japan und in die USA eingeladen. Zudem gab es gemeinsame Forschungsprojekte und wissenschaftliche Publikationen etwa mit den Bionikern der Universität Freiburg, wo nach Untersuchungen mit Hochgeschwindigkeitskamera und Elektronenmikroskop sogar ein neuer Fallentyp beschrieben werden konnte: Die blitzschnelle Katapult-Leimfalle widerlegte die Mär einer beim Beutefang eher langsamen Gattung Drosera.

Nicht genug, ein von ihnen in Australien entdeckter Sonnentau trägt sogar ihren Namen: Drosera hartmeyerorum 
SchlauerDen NWZ-Stammlesern dürften die in Weil am Rhein lebenden Karnivorenspezialisten aufgrund mehrfacher Berichterstattungen keine Unbekannten mehr sein. Allen anderen Lesern aber soll dem heutigen Interview eine kurze Personalie vorangestellt sein.
Christa Hartmeyer mit Buch
Siegfried Hartmeyer ist 1953 in Hasselfelde geboren, weil die geplante Hausgeburt im Benneckensteiner Unterbruch 1 kurzfristig ins dortige Krankenhaus verlegt werden musste – die Hebamme war über Nacht in den Westen geflüchtet. Die ersten Kindheitsjahre verlebte er in Benneckenstein, bevor seine Eltern die widerrechtliche Enteignung des Hartmeyerschen Familienunternehmens zum Anlass nahmen, die Heimat notgedrungen in Richtung Westdeutschland zu verlassen. Beruflich lief es gut für ihn als Laborgruppenleiter und Werksfeuerwehrmann der Gasmessgruppe in der Analytik eines Schweizer Chemiekonzerns. Trotz aller räumlichen Ferne blieb Siegfried Hartmeyer mit dem Harz stets verbunden. Von Mitte der 1960er Jahre bis heute führten verwandtschaftliche Bande zu vielen Besuchen der alten Heimat und letztlich in den Kreis des Kultur- und Heimatvereins Benneckenstein. Auch die Mitarbeit am biografischen Buch seiner Mutter Christa Hartmeyer „Gezeitenwechsel im Hochharz“ lieferte gute Gründe. Heute wollen wir ihn fragen, was ihm in seinem Gewächshaus im Laufe der Jahre an Besonderheiten begegnet ist.

Foto: Christa Hartmeyer mit ihrem Buch "Gezeitenwechsel im Hochharz" (Foto ergänzt).
Herr Hartmeyer, was fasziniert Sie eigentlich so sehr an den Fleischfressenden Pflanzen, die von Ihnen auch gern
als „Fleischis“ bezeichnet werden? Und: Haben Sie unter den nahezu 1000 bekannten Arten Favoriten?
Besonders faszinierend sind für mich die hocheffektiven Tierfallen der Fleischfressenden Pflanzen, die nicht nur Botanikern den Eindruck genialer evolutiver Ingenieursarbeit vermitteln. Was die Biomechaniker, oder kurz Bioniker, beispielsweise an der Universität Freiburg mit modernsten Analysegeräten über zuklappende, katapultierende oder auch saugende Karnivorenfallen herausfanden, verwandeln findige Ingenieure heute bereits in fortschrittliche und umweltschonende praktische Anwendungen. So halfen etwa Untersuchungen des Klappmechanismus der Venusfliegenfalle Dionaea muscipula bei der Entwicklung autark öffnender und schließender Sonnenschutzlamellen für die Beschattung von Gebäuden und Stadien. Ganz ohne Scharniere, Strom und Motoren werden sie wie die berühmten Klappfallen lediglich durch die gezielte Nutzung von Spannungsänderungen im Material bewegt. Sieht man solche Erfolge der Bionik in der Praxis, erschließt sich einem erst richtig, welch faszinierende Mechanismen die Evolution mit den Karnivorenfallen hervorgebracht hat.
Drosera glanduligera
Zu meinen Favoriten unter den Karnivoren zählen sicher die vielen Menschen noch gar nicht bekannten schnellen Katapultfallen der Sonnentau. Besonders die Untersuchung der größten, Drosera glanduligera, an der wir maßgeblich mitwirkten, hat uns viel Kopfzerbrechen bereitet. Das Gewächs galt noch Anfang der 2000er als nicht kultivierbar, und wir benötigten fast drei Jahre, bis wir in der Lage waren, reproduzierbar gesunde, ausgewachsene Pflanzen für unsere Versuche zu ziehen. Die wirklich sensationellen Ergebnisse, dass die Katapulte dieses Sonnentaus sich mindestens so schnell bewegen wie die Venusfliegenfalle zuklappt, publizierten wir u. a. 2010 in den USA.

Den Artikel lasen die Bioniker der Uni Freiburg, und wohl auch, weil wir die Einzigen waren, die gesunde Versuchspflanzen zur Verfügung stellen konnten, lud uns der heutige Groupleader in der Plant Biomechanics Group, Dr. Simon Poppinga, zu einem gemeinsamen Forschungsprojekt ein. Um in den streng gesicherten Laboren mitexperimentieren zu dürfen, mußten Irmgard und ich zuerst 16 (!) Geheimhaltungserklärungen unterschreiben. Das Resultat der folgenden, sehr freundschaftlichen Kooperation war 2012 die Publikation eines neuen Fallentyps, einer kombinierten Katapult-Leimfalle. Sie schleudert im Versuch vorbeilaufende Fruchtfliegen mit ausgestreckt auf dem Boden aufliegenden Katapulten (Schnelltentakel) in sensationellen 75 Tausendstelsekunden (ms) auf ihre vor Leim starrenden Blätter. Dionaea braucht für das Zuklappen 100 ms. Durch den Aufprall wird in den Leimtentakeln der Blattoberfläche eine Art Laufbandmechanismus gestartet, der die Beute in ein bis zwei Minuten in einer Verdauungsmulde versenkt, einer Art Magensack im Blattzentrum.

Sogar der bekannte Wissenschaftsjournalist Volker Arzt fragte per E-Mail an, ob er die in unserem Wohnzimmer entstandenen Aufnahmen der fliegenschleudernden Raubpflanze in der Sendung „Planet Wissen“ erstmals im Fernsehen zeigen dürfte. Wir sagten natürlich gern zu. Der Beitrag wurde 2015 gesendet und war bis Ende 2020 online.

Foto: Die australische Katapult-Leimfalle Drosera glanduligera schleudert vorbeilaufende Tiere in nur 75 Tausendstelsekunden (ms) in ihre Leimtentakel
         Im Guinness Buch der Rekorde 2021 gilt sie jetzt als „schnellste räuberische Landpflanze“.

Ab wann wurden die Karnivoren eigentlich wissenschaftlich beschrieben?
Drosera aberrans "Maldon"
Wissenschaftlich beschrieben wurden Karnivoren erstmals im 18. Jahrhundert, nicht selten vom berühmten Carl von Linné, dem Erfinder der binären Nomenklatur, mit deren Hilfe die Wissenschaft alle Lebewesen mittels eines Gattungs- und Artnamens benennen kann. Der lehnte allerdings bereits damals geäußerte Vermutungen generell ab, dass diese Pflanzen karnivor seien, also gezielt Tiere fressen würden. Er befürchtete wohl ähnliches Ungemach durch solche Behauptungen von Seiten der Religion, wie es 100 Jahre später Charles Darwin zu spüren bekam, bereits zum zweiten Mal und nicht weniger heftig als wegen seiner 16 Jahre zuvor veröffentlichten Evolutionstheorie.

Drosera capensis x aliciaeNach seinen berühmten Experimenten mit Sonnentau und Co. veröffentlichte Darwin 1875 das erste wissenschaftliche Buch „Insectivorous Plants“, in dem er, wie der Titel besagt, eindeutig über insektenfressende Pflanzen schreibt. Besonders evangelikale Fanatiker sahen die „göttliche Ordnung“ gefährdet, wenn Pflanzen Tiere fressen würden statt umgekehrt. Heute ist wissenschaftlich unumstritten, daß Karnivoren gezielt Insekten fangen und mit Enzymen verdauen, Darwin behielt also Recht. Wir konnten in Versuchen sogar eindeutig nachweisen, daß einige Sonnentau schon als Sämlinge recht schnell verhungern, wenn sie nicht genug Nahrung fangen können.

Foto links: Drosera aberrans „Maldon“ wächst im Winter und übersteht den heißen Sommer Australiens eingezogen als Knolle, ähnlich wie unsere Krokusse.

Foto rechts: Drosera capensis x aliciae ist eine hübsche Kreuzung aus zwei südafrikanischen Arten. In der Sammlung der Hartmeyers ist sie nach rund 38 Jahren inzwischen der älteste Sonnentau.
Wie kommt man denn mit so einem Hobby beispielsweise zu einer Einladung nach Japan?
Für die Antwort muss ich etwas weiter ausholen. Irmgard und ich verbrachten seit 1990 auf drei sorgfältig vorbereiteten Reisen insgesamt über sieben Monate in Australien, wo es tatsächlich die meisten Fleischfressenden Pflanzen gibt. Dabei galt für uns immer die Devise „Mache nur Fotos, hinterlasse nur Fußstapfen“. Mit Kleinflugzeugen, Hubschraubern und Geländewagen suchten und filmten wir teils in Begleitung Ortskundiger, meistens aber „allein zu zweit“ gezielt Karnivoren und ein mit ihnen verknüpftes Phänomen: Symbiosen zwischen Fleischfressenden Pflanzen und Raubwanzen (Cyrtopeltis & Bybliphilus), die völlig unbeschadet und zum gegenseitigen Nutzen inmitten der für andere Tiere tödlichen Leimfallen leben. In „Down Under“ waren solche Symbiosen/Mutualismen bis zu unserer Publikation in einem australischen Journal 1996 nur aus einer recht begrenzten Region rund 3000 km südlich um die Stadt Perth bekannt.
Drosera hartmeyerorum
Zu unseren privaten Investitionen in abenteuerliche Exkursionen und immer bessere Filmausrüstungen gesellte sich schließlich noch eine ordentliche Portion Glück. Es gelang Irmgard und mir tatsächlich, mehrere unbeschriebene Symbiosen im Norden Australiens zu filmen. Als Tüpfelchen auf dem „I“ fanden wir 1995 einen noch unbeschriebenen Sonnentau, dessen umgewandelte „Tentakel“ (Emergenzen) gelbes Licht reflektieren. Das war neu in der Gattung. 2001, nachdem diese Pflanze plötzlich in Deutschland auftauchte, zeigten wir sie dem Biochemiker und Systematiker Dr. Jan Schlauer, der regelrecht elektrisiert von unserem Fund war und sich umgehend an die wissenschaftliche Beschreibung der neuen Art machte.

Die reflektierenden Emergenzen „unseres“ Sonnentaus und die neu gefundenen Symbiosen erregten in Fachkreisen weltweit Aufsehen. Dennoch staunte ich nicht schlecht, als plötzlich der Brief eines Prof. Kondo von der Universität Hiroshima eintraf mit den Worten: „Ich möchte Sie herzlich einladen, im Rahmen der Internationalen Karnivorenkonferenz 2002 im Naturhistorischen Museum in Tokio einen Filmvortrag über Ihre Entdeckungen in Australien zu zeigen. Zudem würde es mich freuen, wenn Sie ein offizielles Video über die Konferenz herstellen könnten.“ Das war für uns so eine große Ehre, dass wir selbstverständlich umgehend die Flüge buchten. Die Konferenz in englischer Sprache wurde ein großer Erfolg, der uns viele neue weltweite Kontakte, Freundschaften und Folgeeinladungen brachte.
Haben Sie im Gewächshaus auch schon skurrile Überraschungen erlebt?
Maus in Truncatanepenthes bicalcarata
Oh ja, da fallen mir unsere mäusefressenden Kannenpflanzen (Nepenthes) ein. In Borneo wurden schon kleine Wirbeltiere in großen Kannen gefunden, aber in unserem Gewächshaus war das doch überraschend. Insgesamt fünf Mäuse wurden in wenigen Jahren von zwei großen Pflanzen gefangen, das war also kein einmaliger Zufall. Wir würden niemals Wirbeltiere an Pflanzen verfüttern! Die Mäuse kamen unerwünscht herein, und wir bemerkten das immer erst am typischen Gestank in der Nähe der Falle, wenn die Verdauung bereits begonnen hatte.




Tatsächlich funktionieren die Kannen wie ein richtiger Magen mit Verdauungsenzymen. Für uns natürlich eine ideale Gelegenheit, um zu untersuchen, wie die Pflanze das macht und was von so großer Beute übrig bleibt. Dabei hat sich wohl Folgendes abgespielt: Angelockt von den zuckerhaltigen Ausscheidungen, die besonders von den Nektardrüsen an der Unterseite des Kannendeckels produziert werden, klettert die Maus die rauhe Außenseite der Kanne problemlos empor auf den stabilen „Kragen“, das Peristom, der die Öffnung umgibt.
Nepenthes hamata
Dort muß sie sich auf zwei Beine aufrichten und leicht nach vorne beugen, um die süßen Tropfen unter dem Deckel über ihr abschlecken zu können. Dabei reicht eine unvorsichtige Bewegung um abzurutschen, den Rest erledigt die Schwerkraft. Das Opfer fällt in die Verdauungsflüssigkeit und ertrinkt ohne jede Chance, die sehr glatten Innenwände der Kanne wieder hochzuklettern. Da alle Kannen nach dem Fang innen völlig unbeschädigt blieben, war es ein Beweis, daß es selbst für die Nagetiere keine Möglichkeit gab, sich durch die Wandung zu beißen.

Die Verdauung einer ausgewachsenen Maus dauert etwa sechs Wochen. Beim anschließenden Aufschneiden der Falle waren die Überreste völlig platt und schienen fast in die Wand eingewachsen zu sein. Da brauchte es selbst mit dem Skalpell eine Weile, um die Reste abzulösen, so robust ist der untere Kannenteil. Übrig waren die Fellhaare, Nagezähne sowie kleine Reste der massivsten Knochen. Den Rest des Körpers hatte die Pflanze mit Enzymen aufgelöst und absorbiert. Letzteres konnte man daran erkennen, dass die folgenden Kannen der Pflanze noch größer und kräftiger wuchsen. So makaber die Bilder dazu auch sein mögen, unser sicher etwas skurriler Artikel mit den Fotos fand großes Interesse. Übersetzungen erschienen in mehreren Ländern, sogar eine große indonesische Gartenzeitschrift „Trubus“ druckte dazu einen Bericht.

Foto oben: Als wäre das Mäulchen auch im Tode noch vor Schrecken aufgerissen.
Das Foto dieser in die Falle einer philippinischen Nepenthes truncata geratenen Maus ging um die Welt.


Foto rechts: Die Kannenpflanze mit zwei Zähnen Nepenthes bicalcarata aus Borneo lebt in einer Symbiose mit Ameisen (Camponotus schmitzii), die in der Kannenflüssigkeit tauchend nach Beute jagen. Glatte Kannenwände machen ihnen nichts aus.


Foto links: Die spitzen Zähnchen dieser Nepenthes hamata aus Sulawesi hindern in die Kanne gefallene Tiere effektiv am Entkommen.
Mossis auf Sonnentau
Weniger skurril, sogar als gefährlich entpuppten sich im Gewächshaus Fänge der erst seit einigen Jahren zugewanderten tropischen Tigermücke Aedes aegypti, die wir im Leim unserer Sonnentau entdeckten. Sie übertragen gefährliche Krankheiten wie Zika, Chikungunya und das Dengue-Fieber. Das Weiler Ordnungsamt hatte die Bürger gebeten, Funde der Mücken zu melden.

Sie schickten umgehend einen Biologen zu uns, der bestätigte, dass es sich tatsächlich um die tropischen Blutsauger handelt. Er gab mir Culinex-Tabletten, mit dem nur für Mückenlarven tödlichen Wirkstoff des Bazillus thuringiensis israelensis, mit dem in jedem Frühjahr auch die Altrheinarme des Oberrheins behandelt werden. Noch vor 100 Jahren war unsere Region aufgrund des milden Klimas ein Malariagebiet, und auch die übertragenden Anophelesmücken sind immer noch vorhanden. Eine Brühe aus den Tabletten wird dann in die Wasserschalen gegeben, in denen unsere Karnivoren stehen, die leider gleichzeitig ideale Brutstätten für die invasiven Tigermücken sind. Unterstützt wird die Bekämpfung von unseren zahlreichen Sonnentauarten im Gewächshaus, für die natürlich alle Mücken eine ideale Beute sind.

Foto: Auf der Jagd nach gefährlichen Tigermücken Aedes aegyptii waren im Gewächshaus auch diese Drosera serpens (links) und Drosera paradoxa (beide Australien) erfolgreich. Das half auch, die Mücken eindeutig zu identifizieren.
Sind Sie auch aktuell noch mit wissenschaftlichen Projekten über Fleischfressende Pflanzen beschäftigt?
Dieses Hobby wurde und wird nie langweilig. Seit 2016 kultivieren wir bestimmte Sonnentauarten, um sie in Zusammenarbeit mit Dr. Jan Schlauer auf ihre chemischen Inhaltsstoffe zu untersuchen. Die sogenannte Chemotaxonomie ist recht hilfreich sowohl für die Systematik als auch bei Fragen zur Evolution der Gattung. Bis 2019 ergab das mehrere wissenschaftliche Publikationen. Alle diese Artikel sind auf unserer Homepage zu finden. Erst voriges Jahr konnten wir gemeinsam mit Prof. Stephen Williams (USA) einen Artikel über Experimente mit Ameisen in unserem Garten publizieren, die zufällig direkt neben einer Gruppe von Venusfliegenfallen einen Bau angelegt hatten und wirklich permanent durch die Fallen liefen, ohne diese auszulösen. Ein toller Zufall. Es gelang uns dadurch, statistisch untermauert nachzuweisen, dass die großen Klappfallen kleine, als Beute unrentable Ameisen durch die Kombination mehrerer raffinierter Eigenschaften gezielt entkommen lassen, um Energie zu sparen. Dazu gibt es bei uns natürlich immer auch Filme, die auf unserem YouTubeKanal zu sehen sind. Inzwischen beweisen mehr als 1,6 Millionen Aufrufe, dass die auch Interesse finden.

Diva Guinness 2021

Aber noch etwas zu Ihrer Frage: Erfreulicherweise – Sie werden es geahnt haben – laufen sogar während dieses Interviews einige Laborgeräte, die unsere 2020 gezogenen Pflanzenproben analysieren. Die hatten wir nach der Aussaat im April zum Anfang Oktober im Gewächshaus „geerntet“ und per Expreß an ein Labor in Helsinki verschickt. Es sieht bisher recht gut aus; eine neue Veröffentlichung wird spätestens 2021, je nach Dauer der Peer-Reviews (Überprüfungen durch Fachkollegen), in einer Fachzeitschrift erscheinen.

Völlig überraschend kam gerade noch ein E-Mail von Dr. Poppinga von der Uni Freiburg mit einer großartigen Nachricht: Die bereits erwähnte Katapult-Leimfalle wurde jetzt aufgrund unserer gemeinsamen Labormessungen mit 75 Tausendstelsekunden für einen Fangvorgang als „schnellste räuberische Landpflanze der Welt“ in das Guinness Buch der Rekorde aufgenommen (Foto hinzugefügt).
Vor sechs Jahren haben Sie einen Harzurlaub mit einigen Exkursionen durch unsere Brockenmoore verbunden.
In Begleitung von Brockengärtner Dr. Gunter Karste konnten Sie die dortigen Sonnentauvorkommen untersuchen.
Ihre Resultate haben Sie damals in einem sehr interessanten und nicht minder unterhaltsamen Video präsentiert.
Besteht vielleicht die Absicht, solch eine Aktion noch einmal zu wiederholen?
Die Exkursionen mit Dr. Gunter Karste auf dem Brocken und in seinem Umfeld habe ich in sehr guter Erinnerung. Tatsächlich sahen wir bei der Gelegenheit erstmals Fettkraut (Pinguicula), Sonnentau sowie einige Orchideen (Dactylorhiza species) an Naturstandorten in meiner alten Heimat. Das war ein tolles Erlebnis, auch weil die Faszination für Fleischfressende Pflanzen bei mir tatsächlich durch den auch im Harz vorkommenden Rundblättrigen Sonnentau D. rotundifolia ausgelöst worden war. Ich freue mich immer noch wie Bolle, wenn mir diese Pflanze in der Natur vor die Kamera kommt. Zudem gibt es da durchaus auch ein wissenschaftliches Interesse. Als Hartmeyers im GWHeinzige unserer einheimischen Sonnentauarten bildet D. rotundifolia zu verschiedenen Zeiten am Blattrand entweder Leimtentakel oder völlig trockene Schnelltentakel, ähnlich denen der australischen Katapultfallen, wenn auch nicht ganz so schnell beweglich. Warum es hier diesen Dimorphismus gibt und wodurch die Bildung der unterschiedlichen Tentakel bei dieser Art ausgelöst wird, konnte ich bisher noch nicht aufklären. Ich hoffe aber, das wird noch. Unseren Film „Fleischfresser auf dem Blocksberg“, der auch auf unsere Familiengeschichte in Benneckenstein eingeht, kann man inzwischen übrigens gratis auf unserem YouTube-Kanal anschauen.

Weitere Exkursionen im Brockengebiet haben wir seither schon einige Male angedacht. Derzeit können wir aber meiner 89jährigen Mutter, die uns natürlich immer nach Benneckenstein begleitete, die Reise aus gesundheitlichen Gründen nicht zumuten und wollen sie auch in Coronazeiten nicht für längere Zeit allein lassen. Ich bin jedoch sicher, daß wir auch in der Zukunft wieder im Harz auf Tour gehen werden und darauf freuen wir uns!
Foto: Siggi und Irmgard Hartmeyer in ihrem stattlichen
Gewächshaus voller hungriger Pflanzenmägen.

Für das Interview bedankt sich Jürgen Kohlrausch.